Von Jesus lernen

Predigt zum 18. Sonntag im Jahreskreis (Eph 4,17.20-24)

„Wenn sie gut gelaunt sind, dann nehmen sie alles freundlich zur Kenntnis“, sagt ein engagierter Geschichtslehrer. Mit „sie“ sind seine Schülerinnen und Schüler gemeint, denen er gerade die französische Revolution nahezubringen versucht. Freundliche Kenntnisnahme genügt ihm nicht. Er möchte brennendes Interesse, hitzige Diskussionen. Doch - so meint er: „Das gelingt nur selten. Der Hunger nach Wissen fehlt, die Ahnung, dass die großen Werte hart erkämpft werden mussten und uns nicht automatisch erhalten bleiben“. (So im CIG 32 im Leitartikel „Hungrig bleiben“ zu lesen)

Wie dieser engagierte Lehrer kommt er mir vor, der Schreiber des Epheserbriefes, der seinen Zuhörern ins Gewissen redet und ans Herz legen will, von Jesus zu lernen und dieses Wissen ins Leben zu übersetzen. Freundliche Kenntnisnahme genügt ihm nicht. Deswegen richtet er aufrüttelnde Worte an seine heidnischen Glaubensschüler, die Christen geworden sind: „Lebt nicht mehr wie die Heiden in ihrem nichtigen Denken. das entspricht nicht dem, was ihr von Christus gelernt habt. Ihr habt doch von ihm gehört und seid unterrichtet worden in der Wahrheit, die Jesus ist. Legt den alten Menschen ab, der in Verblendung und Begierde zugrunde geht, ändert euer früheres Leben und erneuert euren Geist und Sinn.“
Da erinnert einer Menschen an das, was sie von Jesus gelernt haben und ist überzeugt, dieses Gelernte ist mehr als Lernwissen, es muss sich als Lebenswissen bewähren.

Diese Worte des Epheserbriefes pieksen mich und fragen: Hast du etwas von Jesus für dein Leben gelernt? Ja, was hast du von ihm gelernt?

1. Ich habe von Jesus gelernt, dass nicht Karriere und Leistung die entscheidenden Bausteine und Eckdaten einer humanen und gerechten Gesellschaft sind, sondern die Überzeugung und der Einsatz dafür, dass auch die Letzten und Schwächsten genug zum Leben haben. Wenn im Weinbergsgleichnis der Arbeiter der letzten Stunde genauso viel bekommt wie die Arbeiter der ersten Stunde - deutlicher und provozierender kann man diese Einstellung nicht machen. Wahre menschliche Größe zeigt sich für Jesus nicht in der Leistung und im Verdienst, sondern in der Bereitschaft, einen Beitrag für eine menschlichere Welt zu leisten. „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein!“ Und wie oft zeigt er durch sein Verhalten eine ungeheuere Sensibilität für die, die an den Rand gedrückt werden. Die im Zentrum öffentlichen Interesses stehen, bejubelt er nie.

2. Ich habe von Jesus gelernt: Glaube an das Gute im Menschen, auch wenn du dabei immer wieder enttäuscht wirst. „Petrus, hast du mich lieb?“ diese Frage des Auferstandenen nach der enttäuschenden Verleugnung durch den besten Freund oder der Auftrag des Auferstandenen an die Frauen: „Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen!“ (Mk 16,7), erzählen davon. Oder wenn Jesus in so machen Gleichnissen von bestechlichen Richtern und nachlässigen Verwaltern erzählt und selbst an diesen Typen etwas Gutes findet, dann ist seine Überzeugung mit Händen zu greifen: Niemand ist so schlecht, als dass du nichts von ihm lernen könntest.

3. Ich habe von Jesus gelernt: Allein ein fast unverschämtes Gottvertrauen befähigt zur Lebenskunst, sorglos zu sein. Jesus wird nicht müde, mit dem Hinweis auf die Natur davon zu erzählen, wie das Korn ohne Zutun des Menschen wächst, wie die Vögel des Himmels ernährt werden, obwohl sie keine Vorräte hamstern und wie die Farben der Lilien prächtiger sind als die prächtigen Kleider des Königs Salomos, obwohl sie weder spinnen noch weben. Und welcher Lebensoptimismus blitzt aus einem Sämannsgleichnis: Wenn vieles im Leben daneben geht und keinen Erfolg zeigt, das Gelingen eines Viertels deiner Lebensbemühungen reicht zu einer reichen Lebensernte.

4. Ich habe von Jesus gelernt: Es ist wichtig, bei einer Überzeugung zu bleiben, auch wenn sie nicht von der Mehrheit geteilt wird und vielleicht sogar Nachteile bringt. Er lässt sich nie von der Welle des Erfolgs verführen oder täuschen. Typisch für ihn ist in solchen Situationen, dass er dann vor seinen Bewunderern ausreißt und sich allein zurückzieht.

5. Ich habe von Jesus gelernt: Es ist eine Kunst, verschiedene Menschen zusammenzuführen und zusammenzuhalten. Im eigenen Freundeskreis so verschiedene Typen unter einen Hut zu bringen, einen römerfreundlichen Zöllner Matthäus und einen Simon oder Judas Iskarioth, denen schon das Messer in der Hosentasche aufgeht, wenn sie das Wort Römer hören, einen Hau-Ruck-Typen wie Petrus und einem verinnerlichten Johannes, das ist Schwerstarbeit. Jesus hat Gemeinschaft hergestellt. Welche Anforderungen dies an einen stellt, zeigt allein schon ein Blick in die kleine Gemeinschaft einer Familie oder am Arbeitsplatz.


Liebe Leser, was habe ich für mein Leben von Jesus gelernt? Diese Frage stellte uns heute der Epheserbrief. Vielleicht stellen auch Sie sich einmal dieser Frage. Ich wollte Sie dazu anregen, indem ich versucht habe, in fünf Punkten vorzustellen, was ich von ihm gelernt habe - oder besser gesagt - noch immer auf der Spur bin, von ihm zu lernen.


Pfarrer Stefan Mai

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