Schneller oder langsamer?

Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis

„Komm, schneller, trödle nicht so lang herum!“, spornt die Mutter - die Einkaufstasche in der Hand und mit dem Autoschlüssel klappernd - ihren Fünfjährigen an, der sich in aller Gemütsruhe die Schuhe anzieht.
„Jetzt mach ich schnell noch das“ - so manch einer von uns ertappt sich bei diesem Satz, wenn er zwischendurch noch etwas schnell erledigen will.
In immer kürzerer Zeit mit immer weniger Personen mit immer größeren Maschinen immer größer werdende Flächen zu bewirtschaften, vor diesem Trend gibt es in der Landwirtschaft kein Halten.
Umso schneller - umso besser, das scheint ein Qualitätsmerkmal einer Leistungsgesellschaft zu sein.

Da macht mich ein Satz hellhörig, den ich vor ein paar Wochen las: „Leben Sie schneller, dann sind Sie eher fertig!“ Ein doppeldeutiger und zugleich ironischer Satz. Ein Ratschlag für Erfolgreiche oder eine bissige Warnung an eilige Zeitgenossen: mach nur weiter so mit dem „immer schneller“, dann wirst Du bald fix und fertig sein?

Wenn ich Jesus anschaue, so war er kein Befürworter oder gar Vertreter des „immer schneller“. Sonst hätte er sich nicht hingesetzt und den Vögeln zugeschaut und ihr sorgloses Verhalten als Vorbild vor Augen gestellt. Sonst hätte er nicht auf die langsam, aber doch stetig wachsende Saat hingewiesen. Sonst wäre er nicht in hektischen Situationen ausgerissen und hätte die Ruhe gesucht, sonst hätte er nicht die Jünger, die ihre Erlebnisse von ihrer Missionsaktion erzählen wollen, eingeladen, sich zurückzuziehen:
„Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind und ruht ein wenig aus!“

Jesus lädt seine geschäftigen Jünger ein, innezuhalten.
Innehalten - das meint, nicht andauernd auf Hochtouren fahren, zur Ruhe kommen, etwas nachhallen lassen. Er selbst hat erfahren, dass solche Phasen der Unterbrechung Freiraum schaffen können für neue Ideen, neue Schritte und neue Ziele. Oft empfinden wir solche Zeiten als leere Zeit. Und doch ist es oft so, wie es ein Lyriker einmal in die Worte brachte: Es geschah nichts und es geschah doch so viel in mir.

Innehalten - in diesem Wort schwingt auch mit: einen Halt haben und einen Standpunkt gewinnen. Und dieser innere Halt schützt davor, sein Fähnchen nach dem Wind zu hängen oder gar der Versuchung zu erliegen, jedem lieb Kind sein zu wollen. Wir Menschen brauchen einen Standpunkt, um von hier aus agieren zu können.

Liebe Leser, ob nicht hinter der Einladung Jesu an seine Jünger: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind und ruht ein wenig aus!“ ein Gegenratschlag zu dem Ratschlag: „Leben Sie schneller, dann sind Sie eher fertig!“ versteckt ist? Vielleicht könnte er so lauten: „Leben Sie langsamer, dann haben Sie was davon!“


Pfarrer Stefan Mai

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