Oldtimer-Bulldog - ein neuer Boom

Predigt zur Oldtimer-Bulldog-Segnung in Wiebelsberg

Einleitung

Ich bin auch ein stolzer Besitzer eines Oldtimer-Bulldog. Es ist ein 16er Lanz aus dem Jahr 1955. Er ist genauso alt wie ich. Er steht aber nicht in einer Garage. Ich bin heute mit ihm auch nicht zum Oldtimertreffen nach Wiebelsberg gefahren. Denn er hat seinen Garagenplatz zwischen Büchern in meinem Bücherregal. Es ist ein kleiner Lanz-Spielzeugbulldog, den meine Eltern damals beim Kauf des Bulldogs für ihren Buben von der Firma Amrhein geschenkt bekamen.

Dieser kleine Bulldog ist eine ständige Erinnerung an meine Kindheit. Ich habe noch vor meinen Augen, wie ich mit meinem Strohhütchen vorne am Beifahrersitz saß, meine Füße vorne am Schutzblech durchstreckte und mich immer fest anhalten musste. Auf dem Lanz habe ich als Bub das Fahren gelernt und habe noch heute den Klang des Motors im Ohr. Dieser 16er Lanz hat einfach zur Kindheit gehört.

Viele von Ihnen sind heute mit ihren Oldtimern nach Wiebelsberg gekommen. Herr Brandl hat mich gebeten, bei diesem heutigen Treffen von Freunden der alten Bulldogs ein paar Worte zu sagen, die zum Nachdenken anregen können und eine Fahrzeugsegnung vorzunehmen. Dies tue ich gern.

Hören wir eine Geschichte vom Mut zur Langsamkeit.

Geschichte von der Bärenraupe

Keine Chance.
Sechs Meter Asphalt.
Zwanzig Autos in einer Minute.
Fünf Laster. Ein Schlepper. Ein Pferdefuhrwerk.
Die Bärenraupe weiß nichts von Autos.
Sie weiß nicht wie breit der Asphalt ist.
Weiß nichts von Fußgängern, Radfahrern, Mopeds.
Die Bärenraupe weiß nur,
dass jenseits Grün wächst.
Herrliches Grün,
vermutlich fressbar.
Sie hat Lust auf Grün. Man müsste hinüber.
Keine Chance.
Sechs Meter Asphalt.
Sie geht los auf Stummelfüßen.
Zwanzig Autos in der Minute.
Geht los ohne Hast. Ohne Furcht. Ohne Taktik.
Fünf Laster. Ein Schlepper. Ein Pferdefuhrwerk.
Geht los und geht und geht und kommt an.

(Rudol Otto Wiemer)


Predigt

Das Tuckern der alten Bulldogmotoren ist für viele heutige Ohren wieder zur Musik geworden, nicht nur für Ohren von Landwirten. Im Internet ist das Schachern mit Oldtimer-Modellen zu einem Riesenmarkt geworden. Es gibt eigene Traktorenclubs für alte Schlüter-,Lanz-, Eicher-, Fendt-, Hannomag- und Porsche-Modelle. Bei unzähligen Festen gehören die Oldtimer-Bulldogtreffen zu den großen Attraktionen. Es gibt eigene Wettpflügeveranstaltungen für Oldtimer-Traktoren, ja sogar fromme Wallfahrten auf den alten Dieselrossen.
Unsinnige Summen werden für bestimmte Bulldogmodelle aus bestimmten Jahren bezahlt, und so mancher alter Bauer könnte sich noch heute in den Hintern beißen, wenn er daran denkt, wie er seinen alten Lanz anno 1950 in den 70-er Jahren einfach verschrotten ließ.
Warum ist in einer Zeit, wo die Riesenschlepper unserer heutigen Zeit - mit Hunderten von PS, mit Top-Klimaanlagen und modernster Elektronik ausgestattet - so schnell wie Lastzüge auf den Straßen unterwegs sind, der Reiz von 12 oder 16 PS bei sechs oder zwanzig Stundenkilometer auf nicht gefederten Sitzen so groß? Ist es nur die Verlockung, sich im immer schneller fahrenden D-Zug des Lebens auf den Platz gegen die Fahrtrichtung rückwärtsschauend zu setzen und das Märchen von der guten alten Zeit zu erzählen?
Aber Hand aufs Herz! Wer möchte heute noch mit 16 PS mit einem Einscharpflug ackern und bei jeder Wendung mechanisch den Pflug hochpumpen? Was ist also der Reiz – ja welche Sehnsucht steckt hinter diesem Oldtimerboom?
Ich meine, der Oldtimerboom hat neben dem Männerhobby Basteln in der Werkstatt drei tiefere Gründe:

Der erste Grund die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit
So faszinierend und verführerisch die modernste Technik ist, so hilflos sind wir ihr inzwischen ausgeliefert. Selbst Spezialisten blicken oft bei der hochmodernen Elektronik nicht mehr durch. Landmaschinenmechaniker und Automechaniker heißen heute Mechatroniker. Fällt heute bei einem großen Schlepper die Elektronik aus, so blickt auch der geschickteste Landwirt nicht mehr durch. An Reparieren ist ohne elektronischen Tester nicht mehr zu denken. Bei den Oldtimerbulldogs wird noch repariert, getüftelt und rumgeschraubt. Da haben geschickte Mechaniker noch das Gefühl, sie können das Ganze überblicken, auch verstehen und reparieren. Und das ist eine große Sehnsucht, die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit in einer Welt, die sich immer mehr in Hunderttausende von Spezialisten ausdifferenziert in eine totale Unübersichtlichkeit.

Ein zweiter Grund ist meiner Meinung nach eine neue Sehnsucht nach Verlangsamung.
Unsere Zeit ist schnell, zu schnell geworden, die Schnelligkeit der Computer und der Maschinen macht uns Menschen auf Dauer kaputt. Die Taktfrequenzen der Computer bestimmen unseren Lebensrhythmus und nicht mehr das Tempo der Kuhgespanne. Wir ahnen langsam, dass sich dies der Biorhythmus unseres Lebens nicht ungestraft bieten lässt. Es ist ein deutliches Ausrufezeichen, wenn sich psychische Krankheiten und Burnout-Syndrome von Jahr zu Jahr drastisch mehren.
Ob Menschen nicht gerade das langsame Dahintuckern mit den alten Bulldogs deshalb so genießen, weil sie langsam das Gejagt-Werden durch Schnelligkeit und Zeitdruck satt haben und auch nicht mehr auf Dauer aushalten können?

Ein dritter Grund: Ich meine wieder mehr die Sehnsucht nach Vergemeinschaftung zu spüren.
Die Schlepper und die Ackerflächen, die Landwirte heute bearbeiten, werden immer größer. In immer kürzerer Zeit bearbeiten sie immer größere Flächen. In einer für mich frechen Arroganz meinte ein Großrancher gegenüber einem Landwirt mit 80 Hektar: „Och, dei poor Ackerli mach ich noch am Sonntag Früh vor der Kerch mit.“ Immer weniger machen in immer kürzeren Zeiten immer mehr. Wenn man hinaus über die Fluren schaut, so sieht man auch in der Hochsaison nur einzelne Schlepper fast einsam ihre Kreise ziehen. Einzelne Menschen bearbeiten ganze Flurstriche. Oft sind über Nacht ganze Fluren bearbeitet. Früher wimmelte es auf den Äckern vor Menschen, wenn Brachzeit, Heuernte oder Getreideernte war. Da war das Gefühl da: Andere machen jetzt wie ich das Gleiche. Und das verbindet untereinander.
Ob deswegen die Oldtimerbulldogfahrer gern in ganzen Rudeln auftreten, gemeinsam fahren und feiern, um auszudrücken: Der Mensch braucht Gemeinschaft. Er ist von der Natur her eigentlich kein Einzelkämpfer.

Liebe Oldtimer-Bulldog-Fahrer,
wenn Sie heute Abend mit Ihrem Traktor wieder langsam heimtuckern, vielleicht denken Sie einmal darüber nach: Welche Sehnsucht steckt eigentlich hinter der Liebe zu meinem Bulldog?


Pfarrer Stefan Mai

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