Jesus und die kranke Kirche

Predigt zum Fronleichnamsfest 2012

Es war ein stiller Moment - und doch für mich der ergreifendste beim letztjährigen Staatsbesuch Benedikts XVI. in Deutschland. Es war nicht die intellektuell gestylte Rede im deutschen Bundestag, es war nicht der Besuch des Papstes im Erfurter Augustinerkloster Martin Luthers, es war auch nicht der abendliche Jugendevent auf dem Freiburger Messegelände oder die stimmungsvolle marianische Andacht im romantischen Abendlicht des Eichsfeldes. Nein, für mich war es der Moment als der Papst im Berliner Olympiastadion Behinderten im Rollstuhl und einer Schwerstkranken auf einer Trage die Kommunion reichte. Am selben Ort, an dem Adolf Hitler 1936 den sportlichen Glanz der Körper huldigte und das Starke, Mächtige und Schöne heroisierte, weshalb er sogenanntes „unwertes Leben“ vernichten ließ. Genau an diesem Ort wurde dem kranken und hinfälligen, ja vom Tod gezeichneten Menschen die Kommunion gereicht, in der Sprache unserer Kirche auch remedium, Heilmittel, Arznei genannt. Ein starkes Zeichen: Jesus im Zeichen des Brotes als letzte Hoffnung und große Kraftquelle. Ein Bild, das keiner Worte bedarf: Vor diesem Jesus, für den nicht Kraft, Leistung und Macht die maßgebenden Kriterien waren, sondern die Ausgestoßenen, diejenigen, die an den Rand gedrückt wurden, für ihn bekommt das Schwache und Kranke eine besondere Würde.

Mich durchzuckt der Gedanke: Ist nicht auch unsere Kirche zur Zeit selbst schwer krank? Ja, haben nicht viele sie als hoffnungslosen Patienten bereits aufgegeben?
Unsere Kirche ist krank: Sie leidet an Depression, sie hat keinen so rechten Schwung, keinen Antrieb, sie strahlt wenig ehrlichen Optimismus aus. Die Sorgenfalten sind ihr ins Gesicht geschrieben.

Unsere Kirche ist krank. Sie trug lange eine tickende Krebsgeschwulst in sich.
Der Missbrauchskandal hat in wenigen Monaten Vertrauen zunichte gemacht, das so viele Menschen mit ihrem Einsatz und mit ihrem Leben und Glauben aufgebaut haben. Den Ruf als moralische Instanz hat sie schwer eingebüßt.

Unsere Kirche ist krank. Für viele hat sie das Aussehen einer hässlichen, alten Frau, die in der Welt nicht mehr zurechtkommt, keine Anziehungskraft mehr ausübt, der man eine Altersweisheit nicht mehr zutraut.

Unsere Kirche ist krank: Sie hat einen schweren Autoritätsverlust in den letzten Jahren hinnehmen müssen. In der Glaubwürdigkeitsskala der Institutionen rangiert die katholische Kirche am unteren Ende. Da ist nicht drin, was sie auf ihrem Etikett draufsteht, behaupten viele. Man glaubt, man traut ihr nicht mehr so recht. In großen Reden wird die Welt zum Frieden, zum Miteinanderteilen ermahnt - und in den höheren Etagen der Ordinariate und des Vatikans werden Machtkämpfe ausgefochten und Intrigen gesponnen.

Unsre Kirche ist schwer krank, aber dennoch tut sie noch oft so, als müsse sie einer angeblich kranken Welt zeigen, wie diese gesunden kann. Unsere Kirche braucht einen Arzt, aber sie führt sich manchmal trotzdem als ein Arzt auf, der wüsste, welche Medikamente die anderen brauchen. Aber wie selbst gesunden?

Unsere Kirche kann nicht gesunden, wenn sie sich selbst und anderen nicht endlich zugesteht: Ich bin krank. Ich, der diesen Jesus verkünden soll, der seine Worte unter die Menschen bringen soll, die Mut machen und aufrichten, brauche selbst seine Worte als Kraftquelle.

Unsere Kirche ist krank. Mit diesem Gedanken im Kopf gehen mir die Worte vor der Kommunion, die so oft wie eine Floskel an uns vorbeirauschen, in ihrem tiefen Sinn wieder ganz neu auf: „O Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“
Die Gesundung wird daran hängen, ob wir diesem Jesus vertrauen können, der einmal gesagt hat: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.

Sacramentum mundi will unsere Kirche nach dem 2. Vatikanischen Konzil sein, ein Zeichen und Hilfswerkzeug für die Menschen, um Zugang und Verbindung zu Gott zu finden. Bevor sie dies wieder sein kann, braucht sie Jesus selbst als Heilmittel.

Liebe Leser,
unsere alten eucharistischen Hymnen singen davon:
Er ist uns im Brot gegeben, Brot das lebt und spendet Leben, Brot, das Ewigkeit verheißt.
Guter Hirt, du Brot des Lebens, wer dir traut, hofft nicht vergebens, geht getrost durch diese Zeit.

Möge uns diese Zuversicht als kranke Kirche in den kommenden Jahren begleiten. Mögen wir, die wir uns heute in den Fronleichnamszug wieder einreihen und auf das Brot in der Monstranz schauen, auch spüren, wie stärkend, wie tröstend, ermutigend und aufbauend die Botschaft Jesu ist. Und mögen wir diesem Jesus glauben können: Das Schwache und Kranke hat vor ihm noch seine besondere Würde.


Fürbitten

Herr Jesus Christus, du bist Herr deiner Kirche. Wir bitten dich:

- Erfülle die Kirche mit Wahrheit und Frieden
- Reinige sie, wo sie verdorben ist.
- Richte sie auf, wo Kleinglauben sie niederdrückt.
- Beschenke, wo sie Mangel leidet.
- Stärke und kräftige sie, wo sie auf deinem Weg ist.
- Gib ihr, was ihr fehlt, und heile den Riss, wo immer sie zerteilt und zerstreut ist
- Lass unsere Verstorbenen bei dir erleben, wonach sie sich gesehnt haben.
In diesem Gottesdienst beten wir für....

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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