Feuer oder Atem?

Predigt zum Pfingstfest 2012

Wenn wir das Wort „Hl. Geist“ hören, dann haben wir meist Bilder vor Augen: Feuerzungen, heftiger Wind, lautes Getöse. Da bricht etwas von außen herein oder von oben herab, überfällt Menschen direkt, krempelt sie um, verzückt sie. Da passiert etwas Außerordentliches, da geschehen wunderbare Dinge. Hl. Geist - eine Institution für Ausnahmefälle? Eine Institution für das wundersame Eingreifen Gottes in der Welt?

Der Hl. Geist wird aber auch mit dem Atem verglichen. „Atem Gottes“ wird er genannt. Das erinnert an die Schöpfungserzählung, wo Gott den Menschen aus dem Ackerboden formt und ihm in seine Nase den Lebensatem bläst und der Mensch zu einem lebendigen Wesen wird.

Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, atmen zu können. Wir atmen Tag und Nacht. Einatmen - Ausatmen - Einatmen - Ausatmen, egal ob wir wach sind oder schlafen. Einatmen - Ausatmen - Einatmen - Ausatmen in einem bestimmten Rhythmus. Wo wir gehen und stehen begleitet uns der Atem. Ganz unauffällig läuft das Atmen bei allem was wir tun so nebenher. Oft spüren wir gar nicht, dass wir atmen. So selbstverständlich ist der Atem für uns. Bemerkbar macht sich der Atem meist nur, wenn wir uns arg anstrengen und richtig schnaufen müssen, wenn uns ein Schnupfen oder eine Bronchitis plagt, wenn es Probleme mit der Lunge gibt, wenn wir vor Hetze ganz außer Atem sind - oder wenn uns vor Schreck der Atem stockt.
Der Atem ist ein stiller und selbstverständlicher Begleiter, ja die Grundlage unseres Lebens. Solange wir atmen leben wir.

Hl. Geist als Feuerzungen, heftiger Wind, lautes Getöse und Hl. Geist als Atem Gottes, das sind unterschiedliche Bilder dafür, wie Menschen Gott im Leben erfahren.

Das Bild der Feuerzungen und des Brausens vom Himmel her macht mir deutlich: Gott kann Menschen plötzlich in den Bann ziehen, ja direkt überfallen - wie damals den berühmten Philosophen Blaise Pascal. Dieses Erlebnis hat Blaise Pascal aufgeschrieben, in sein Rockfutter eingenäht und ein Leben lang mit sich herumgetragen, ohne dass einer davon wusste. Erst nach seinem Tod bemerkte sein Diener im Rockfutter des Fracks seines Herrn eine wulstige Stelle und entdeckte darunter das kleine Pergamentstück, auf dem Pascal das umwälzende Ereignis seines Lebens notiert hat. Darauf ist zu lesen:

Das Jahr der Gnade 1654
Montag, 23. November, Tag des heiligen Clemens...
Von ungefähr zehn und einhalb Uhr am Abend bis
ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht, Feuer.
Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs,
Nicht der Philosophen und Gelehrten.
Gewissheit. Gewissheit. Empfindung. Freude. Friede.
Gott Jesu Christi


Das große naturwissenschaftliche und mathematische Genie war gerade 30 Jahre alt. Von allen bejubelt, dauernd hofiert im Umkreis des höfischen Milieus. Aber innerlich stand er in der Gefahr einer gähnenden Leere. Da geschieht plötzlich und unerwartet die große Wandlung seines Lebens. Pascal hat auf dem kleinen Pergamentstück dieses umwälzende Ereignis seines Lebens notiert. Es ist die Nacht des 23. Novembers 1654. Da bricht Gott wie ein Brandstifter völlig überraschend in sein Leben ein und stellt es auf den Kopf: Feuer! Eine Gotteserfahrung haut ihn aus den Socken, ja verbrennt ihn fast. Blaise Pascal hat danach noch ein paar Jahre zu leben, mit 39 stirbt er. Nie hat er einem Menschen von diesen feurigen Nachtstunden erzählt. Aber stets trug er dieses „Memorial“, dieses Erinnerung an die nächtliche Feuerstunde im Rockfutter, in der Nähe seines Herzens. Diese Gedenkschrift nähte er immer wieder neu ein, wenn er sich neue Kleider machen ließ, um das Gedächtnis an diese Stunden, die sich in sein Leben tief eingebrannt hatten, wach zu halten.

Die wenigsten von uns haben so eine Feuerstunde wie Blaise Pascal erlebt. Aber erlebt haben wir alle dichte Momente des Glücks, wo das Herz gejubelt hat, Augenblicke der Dankbarkeit, wo man am liebsten die ganze Welt umarmt hätte, aber auch Stunden, wo man tief erschüttert war und ein tiefer Schmerz in einem bohrte. Gerade solche Momente bringen Menschen mit Gotteserfahrung in Verbindung. Es kommt darauf an, solche Erlebnisse in sich wach zu halten, so wie es Blaise Pascal mit seinem Pergamentzettel getan hat.

Und vielleicht erinnert mich mein eigener Atem manchmal daran und macht mir bewusst: Wie der Atem die Grundlage meines Lebens ist, mir immer neuen Sauerstoff zum Leben gibt, oft ganz unbemerkt und nebenbei - so geht Gott auch unbemerkt die Wege meines Lebens mit und bleibt die Grundlage meines Lebens, auch wenn ich manchmal nicht viel von ihm spüre.


Pfarrer Stefan Mai

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