Frauen bleiben dran – Männer reißen aus

Predigt zum Ostermontag 2012

Einleitung

Eine Kommune, ein Betrieb, der etwas auf sich hält, hat heutzutage eine Gleichstellungsbeauftragte. Sie ist dazu beauftragt, den Frauen zu gleichem Recht gegenüber den Männern zu verhelfen; den prozentualen Anteil der Frauen in wichtigen Positionen zu heben; für eine Lohnangleichung zu kämpfen; bei Einstellungen darauf zu achten, dass gleich qualifizierte Frauen gegenüber Männern bevorzugt werden.
Die Osterevangelien haben ohne Gleichstellungsbeauftragte das Gleiche geschafft. Sie erzählen gleichwertig von den Ostererfahrungen der Frauen und den Ostererfahrungen der Männer. Aber sehr subtil stellen sie ganz feine Unterschiede heraus, ohne sie zu werten.
Als erstes Osterevangelium haben wir in der Osternacht eine typische Frauengeschichte gehört. Wie sich’s gehört: Die Frauen zuerst. Heute am Ostermontag sind die Männer dran: auf ihrem Weg nach Emmaus.

Predigt

Es ist schon merkwürdig: Frauen und Männer reagieren auf den Tod Jesu ziemlich verschieden.
In der Osternacht haben wir von den Frauen gehört: Die gehen zum Grab zurück, wollen den Leichnam Jesu noch einmal sehen, ihn mit Duftöl salben, wollen ihn noch einmal berühren. Sie können sich einfach nicht so schnell von ihm trennen.
Heute am Ostermontag hören wir von der Reaktion der Männer:
Die Männer reißen aus, weg von Jerusalem, sie reden zwar noch über die vergangenen Tage, aber für sie ist die Sache Jesu erledigt. Es ist für sie eine Geschichte des Misserfolgs, der Niederlage, der Enttäuschung. Die wollen sie hinter sich lassen. Nichts wie weg.

Liebe Leser, wem würde Ihre Sympathie gehören? Den Männern? Oder den Frauen? Denen, die ein Kapitel abhaken wollen und zu neuen Ufern aufbrechen? Oder denen, die eine Sache nicht so schnell abschließen können, die Vergangenheit ein Stück konservieren wollen? Wem gehört Ihre Sympathie? Den Flüchtern oder den Konservieren? Denen, die immer gleich ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlagen wollen, wenn etwas schiefgegangen ist, oder denen, die keine neue Seite in ihrem Lebensbuch schreiben, weil sie dauernd nur auf den alten Seiten lesen und überhaupt nicht davon wegkommen?
Es ist auffällig: Die Ostergeschichten verteilen keine Sympathie. Sie lassen jeden der beiden Typen zu ihrem Recht kommen. Aber Recht geben sie keinem. Im Gegenteil: Sie korrigieren beide Typen. Die Frauen werden vom Grab weggeschickt und mit einer neuen Aufgabe betraut. Die Männer werden von Jesus noch einmal mit der alten Vergangenheit konfrontiert. Sie wird noch einmal gründlich durchgearbeitet.

Die Osterevangelien sagen uns: Jeder ist anders gelagert. Der eine kommt von der Vergangenheit nicht los. Der andere will im Hauruck-Verfahren zur neuen Tagesordnung übergehen. Das ist so und keiner kann aus seiner Haut.
Aber wenn du einen Neuaufbruch nach einer Krise ersehnst und nicht in deine alten Muster zurückfallen willst, dann lass dir von den Osterevangelien sagen: Gerade, was deinem Typ nicht entspricht, ist für Dich das Richtige. Der Flüchter muss zurück. Der Konservierer muss nach vorn schauen. Beide Wege geht der Auferstandene mit.

Fürbitten Ostermontag

Jeder Mensch ist in seinem Leben vor die Aufgabe gestellt, mit Schwerem und mit Niederlagen fertig zu werden. Gott, wir bitten dich:

– Für alle Menschen, die nur um sich selbst kreisen, auf ihre Probleme fixiert sind und nichts mehr an sich heranlassen …
V/A: Herr Jesus Christ, begleite uns
auf allen unseren Wegen (nach Melodie 504)


– Für alle Menschen, die trotz einer schweren Vergangenheit, trotz einer schweren Krise, trotz eines schweren Schicksalsschlages bewusst nach vorn schauen und etwas Neues wagen …

– Für alle Menschen, die am liebsten vor allem, was Schwierigkeiten macht, ausreißen und jeder Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aus dem Weg gehen …

– Für alle Menschen, die sich ihrer Vergangenheit stellen, Lehren daraus ziehen und bereit sind, ihr Leben umzustellen …


Pfarrer Stefan Mai

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