Sich bedienen lassen ist genau so schwer wie dienen

Predigt zum Gründonnerstag 2012

Einleitung

In vielen Pfarrgemeinden wurden in den letzten 10 Jahren Helfer-Initiativen wie z.B. eine Stund Zeit gestartet. Frauen und Männer nehmen sich eine Stunde pro Woche Zeit, um alten und hilfsbedürftigen Menschen beizustehen: für sie einzukaufen, Dienstgänge zu erledigen, Formulare auszufüllen, mit ihnen etwas zu spielen oder sich einfach zu unterhalten.
Erfreulicherweise fanden sich praktisch überall Helferinnen und Helfer genug. Aber Leute zu finden, die sich helfen lassen wollten, das war weitaus schwieriger. Gibt das nicht zu denken?

Predigt

Zu meiner Kinderzeit war es in allen katholischen Gemeinden üblich, dass am Gründonnerstag Abend im Gottesdienst die Fußwaschung zelebriert wurde. Da saßen 12 Männer im gesetzten Alter mit ihrem besten Anzug im Altarraum und ließen sich nach dem Evangelium von der Fußwaschung vom Pfarrer die Füße waschen, die sie natürlich zuvor daheim so gründlich wie nie im Jahr gereinigt hatten. Und dabei wurde als Kehrvers gesungen: „Liebet einander, wie ich euch geliebt.“ Und wie in einem Film konnten die Gottesdienstbesucher sehen, was im Evangelium aufgetragen wird: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“
Inzwischen findet in vielen Gemeinden die Fußwaschung nicht mehr statt. Oft scheitert es ganz einfach daran, dass niemand mehr bereit ist, sich die Füße in der Öffentlichkeit waschen zu lassen. Das ist vielen zu peinlich. Das gehört in den Bereich der Fußpflege.
In der Antike war das natürlich anders: Da gehörte die Fußwaschung in den Alltag. Wenn Gäste kamen, wurden ihnen ganz selbstverständlich von den Sklaven die Füße gewaschen, die in den offenen Sandalen voll vom Staub der Straßen waren.
Neue Versuche, die Symbolik der Fußwaschung in unsere Zeit zu holen, haben sich nicht durchgesetzt: Egal ob man Wasserschüsseln durch die Reihen gab, um sich gegenseitig die Hände zu waschen, oder ob man anstelle der Füße die Schuhe putzen ließ – irgendwie spürte man: Das trifft den Nerv der Sache nicht.
Ich glaube, dass für unsere Zeit nicht Jesus, der seinen Jüngern die Füße wäscht, sondern eine andere Figur des Gründonnerstagsevangeliums unmittelbare Aktualität besitzt: Petrus, der sich weigern will, sich die Füße waschen zu lassen; Petrus, dem es peinlich ist, dass er sich diesen Dienst tun lassen soll.
Sich einen Dienst von anderen erweisen lassen, damit tun sich viele Menschen heute schwer. So erzählte eine Frau: Jedes Mal, wenn ich vor meiner Mutter kniete, um ihr die Füße zu waschen und ihr anschließend die Fußnägel zu schneiden, war sie immer besonders garstig zu mir. Ich habe es so gut gemeint, wollte ihr einen liebevollen Dienst erweisen – und jedes Mal bekam ich eine Abfuhr. Lange wusste ich nicht warum. Inzwischen weiß ich: Meine Mutter, die ein Leben lang selbständig und selbstbewusst war, alle Dinge im Griff hatte und von früh bis abends aktiv war – für sie muss es schlimm gewesen sein, ihrer Tochter gegenüber zugeben zu müssen: Ich bin auf dich angewiesen. Ich bin nicht mehr selbstständig. Ich muss das Heft langsam aus der Hand geben. Das war es, was sie so unzufrieden und widerborstig gemacht hat. Hilfe annehmen kann sehr schwer sein.

Liebe Leser,
das Gründonnerstagsevangelium lehrt mich zweierlei: Nimm den Auftrag Jesu ernst und sei bereit, anderen Menschen einen Dienst zu tun, auch wenn es unter deiner Würde ist.
Aber es lehrt mich auch: Lerne beizeiten, dir einen Dienst tun zu lassen, auch wenn du damit zugeben musst: Da reichen meine Kräfte nicht mehr. Das kann ich nicht so gut wie der andere. Aus dem Gründonnerstagsevangelium möchte ich lernen: Bilde dir nicht ein, dass du ein Leben lang Herr deiner selbst bleiben kannst. Einmal wirst du auf andere Menschen angewiesen sein.
Das ist der Augenblick, wo die vielleicht wichtigste Aktion deines Lebens beginnt: der Gang in die Passion.

Fürbitten

Nein, niemals sollst du mir die Füße waschen, war die Reaktion des Petrus, als Jesus zu ihm kam, um ihm die Füße zu waschen.

– Wir beten für alle Menschen, die am Rand des Existenzminimums stehen, sich aber nicht trauen, einen Sozialhilfeantrag zu stellen …
GL 358,3 (Lasset zum Herrn uns beten)

– Wir beten für alle Menschen, die einfach nicht mehr können, aber zu stolz sind, andere um Hilfe zu bitten oder angebotene Hilfe anzunehmen …

– Wir beten für alle Menschen, die Tag für Tag in Dienstleistungsberufen stehen oder daheim sich liebevoll um ihre Angehörigen kümmern …

– Wir beten für uns selbst, wenn wir an den Punkt unseres Lebens kommen, an dem spüren: Es geht nicht mehr alleine und wir sind auf andere angewiesen …


Pfarrer Stefan Mai

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