„Lass mich dein Esel sein!“

Hinführung zur Passion am Palmsonntag 2012

Die jungen Intellektuellen an der Universität sind gespannt, als der kleine brasilianische Bischof Dom Helder den großen Vorlesungssaal betritt. Sie sind gespannt, was er ihnen sagen wird. Und Bischof Dom Helder Camara beginnt mit einem Gebet:

Herr Jesus Christus, du bist zu uns in die Welt gekommen, auf einem Esel.
Du willst nicht über die Menschen herrschen,
sondern hast uns allen gedient.
Du bist unser Sündenbock und Lastesel geworden;
du hast alles auf dich genommen am Kreuz.
Nun sind wir entlastet. Dafür danken wir dir:
Aber nun wollen wir Lasten tragen von Menschen,
die belastet sind.
Wir wollen ganz in deiner Nähe sein.
Lass uns deine Lastenesel sein, Christus. Amen.


Der Esel als Vorbild einer christlichen Lebenshaltung? Ein Esel ging uns heute bei der Palmsonntagsprozession voraus. Der Esel, der gewöhnlich als dumm eingestuft wird, der in Mathematik eine 6 hätte und im Sprechen über das I und A nicht hinauskommt, der für die sogenannte Eselsbank herhalten musste, in der in früheren Zeiten die schwächsten Schüler sitzen mussten, dessen Eselsohren zum Synonym für Schlampigkeit geworden sind. Kein Wunder, dass eine gängige Redewendung bei uns heißt: „Ich bin doch kein Esel!“

Aber Dom Helder Camara betet: „Lass uns deine Lastesel sein, Christus“. Er weiß, dass jeder „sei Packla“ zu tragen hat und manche Menschen fast zusammenbrechen, weil sie überlastet sind. Er sieht in Jesus, der auf einem Esel in Jerusalem einreitet, selbst einen solchen Lastesel, der sein Leben als Dienst für andere verstand, dem die Lasten der Menschen nie gleichgültig waren und dessen Worte unvergessen sind: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid!“
Und er spürt, dass dies das glaubhafteste christliche Lebenszeugnis ist, Lasten des Lebens tragen zu helfen und auch die eigne Last zu schleppen. Esel sind für ihre Zähigkeit und ihr Durchhaltevermögen berühmt. Sie sind Spezialisten für unwegsames Gelände. „Wo die Pferde versagen, schaffen es die Esel“, meinte einmal der zähe Johannes Paul II. Und ein Sprichwort meint: „Esel und Mulis haben Augen auf den Hufen“. Jeder von uns weiß, wie schwierig es ist, in bedrückenden Lebenssituationen gangbare Wege zu finden.
Wir hören am Palmsonntag immer zum ersten Mal die Passion in der Karwoche. In diesem Jahr die Passion, wie sie der Evangelist Markus erzählt. Dramatisch erzählt Markus, wie die Anhänger Jesu fliehen, als es am Ölberg brenzlig wird, so wie es Pferde in Stresssituationen tun. Die Jünger Jesu Verhalten sich wie das Fluchttier Pferd. Der Esel dagegen bleibt in Gefahren- und Stresssituationen wie angewurzelt stehen. Jesus selbst bleibt keine andere Wahl.

Einschub vor der Sterbeszene

Die Kreuzesstrafe war in der Antike die verpönteste Hinrichtungsart für Verbrecher. Kein Wunder, dass die älteste Darstellung des Gekreuzigten, die wir kennen, ein Spottkruzifix ist.
"Alexamenos betet Gott an" steht auf einem in Stein geritzten Bild auf dem Aventin, einem der sieben Hügel, auf die Rom gebaut worden ist. Auf diesem Hügel lebten seit dem 1. Jh. die Reichen. Auf dem Bild wird ein Mann namens Alexamenos verspottet, weil er Christ ist. Er schaut zum Gekreuzigten auf. Er glaubt an einen Gott, der am Kreuz gestorben ist. Und zum Spott malte man den Gekreuzigten mit einem Eselskopf. Ein dummer Esel, wer an einen solchen Gott glaubt.
Aber ausgerechnet ein Fremder, ein römischer Hauptmann schaut in der Passion tiefer. Ausgerechnet ein Heide ist zu diesem Glaubensbekenntnis fähig, während die Freunde Jesu über alle Berge geflohen sind. Es heißt:
Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig dieser Mensch war Gottes Sohn.

Fürbitten

In der kommenden Woche stehen uns die letzten Tage und Stunden Jesu besonders deutlich vor Augen. Sein Leidensweg verbindet ihn mit vielen, die heute ein schweres Schicksal zu tragen haben. Für sie beten wir:

Wie Jesus werden auch heute Menschen von Freunden verraten und verlassen. Wir beten für sie - Komm, Herr, und begleite sie

Wie Jesus stehen auch heute Menschen in schwierigen Lebenssituationen wie angewurzelt da und bitten Gott um Hilfe. Wir beten für sie - Komm, Herr, und begleite sie

Wie Jesus sehnen sich auch heute Menschen danach, dass es Menschen gibt, die ihnen das Kreuz des Lebens tragen helfen. Wir beten für sie - Komm, Herr, und begleite sie

Wie Jesus werden auch heute Menschen in die Enge getrieben, gequält und gefoltert. Wir beten für sie - Komm, Herr, und begleite sie


Pfarrer Stefan Mai

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