„Keiner wird mehr den anderen belehren...“

Predigt zum 5. Fastensonntag (Jer 31,31-34)

Die Älteren von uns hatten als Kinder fast alle das gelbe Buch von Max und Moritz in der Hand. Wilhelm Busch schildert darin die sieben Streiche der beiden stupsnasigen Lausbuben Max und Moritz, die sie einer Witwe Bolte, dem Schneider Böck oder dem Onkel Fritze mit seiner Zipfelmütze spielen. Der vierte Streich beginnt mit folgenden Versen:

Also lautet ein Beschluss,
Dass der Mensch was lernen muß. -
Nicht allein das Abc
Bringt den Menschen in die Höh';
Nicht allein in Schreiben, Lesen
Übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen,
Sondern auch der Weisheit Lehren
Muß man mit Vergnügen hören. -
Dass die´s mit Verstand geschah,
War Herr Lehrer Lämpel da...

Und wir sehen Lehrer Lämpel vor unserem Auge dastehen in oberlehrhafter Haltung, mit hoch erhobenen und langgestrecktem Zeigefinger und ernster, herrischer Miene.

Und diesen Lehrer Lämpel haben die beiden Lausbuben Max und Moritz schwer auf dem Kicker und spielen ihm einen üblen Streich. Während Lehrer Lämpel brav beim Sonntagsgottesdienst seine Orgel spielt, dringen sie in sein Haus ein, stopfen dessen geliebte Pfeife mit Schießpulver, und als Lehrer Lämpel zur Entspannung nach dem Gottesdienst sein Pfeifchen schmauchen will, erlebt er sein blaues Wunder.

Viele Menschen regt heute - wie schon damals Max und Moritz - oberlehrhaftes Gehabe auf. Und viele empfinden kirchliche Autoritäten als Oberlehrer. Sie hantieren nicht gleich mit Schießpulver, aber mit Nichtbeachtung. Lasst sie doch reden! Enzykliken, Verlautbarungen des apostolischen Stuhls, Dekrete, Erlasse, Lehrschreiben und Hirtenworte der Bischöfe stoßen nicht mehr auf das erhoffte Echo. Die meisten interessieren sich nicht mehr dafür. Zum einen Ohr gehen sie rein, zum anderen raus. Und am Ende lagern die vielen Schreiben schön gedruckt und geordnet in den Aktenschränken, bewirken aber keine wirkungsvolle Anleitung zum Glauben mehr.

In einer solchen Großwetterlage finde ich die Worte des Propheten Jeremia in der heutigen Lesung höchst aktuell. Da erkennt der Prophet: Der Sinai-Bund, die in Stein gemeißelten Worte, die von höchster Instanz gelehrt, die durch die religiösen Autoritäten Israels in weitere Gebote und Verbote ausdifferenziert und entfaltet wurden, sie haben keine Wirkung mehr. Sie werden im Alltag nicht mehr beachtet und gehalten. Der Sinai-Bund zerbricht. Jeremia leidet darunter, aber er reagiert nicht in Oberlehrerart und erhobenem Zeigefinger. Er schimpft nicht über das böse Volk. Nein! Er malt eine neue Zukunftsvision von einem neuen Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk Israel. Im Namen Gottes verheißt er:

„Das wird der Bund sein, den ich in diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe. Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein.
Keiner wird mehr den anderen belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern alle, klein und groß werden mich erkennen.“


Liebe Leser,
würde uns eine solche Haltung als Kirche nicht gut stehen? Wenn kirchliche Autoritäten nicht mehr ankommen und nicht mehr auf Gehör stoßen, darauf vertrauen, dass Gott trotzdem die Herzen der Menschen erreicht. Dass er trotzdem die Sehnsucht nach Gott in die Herzen der Menschen ritzt. Dass trotzdem Menschen fähig sind, ihn zu erahnen, und zu erspüren. Dass Menschen auf einem langen Weg des Suchens und Fragens - wie Jeremia meint - den Herrn erkennen.
Eines macht mir dieser Spitzentext des AT wieder einmal bewusst:
Eine intensive Gottesbeziehung kann nie durch Belehrung entstehen.
Der Glaube kann nie von außen an mich herangetragen werden, wenn ich nicht innerlich berührt bin.
Das oberlehrhafte Dozieren von Glaubensformeln und ein besserwisserisches Hantieren mit Katechismussätzen kann nie das Ringen um den eigenen Glaubensweg ersetzen.
Gott selbst allein kann dafür sorgen, dass er im Gedächtnis und in den Herzen der Menschen bleibt.


Pfarrer Stefan Mai

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