Der Schabbat - die jüdische Vision von einer zur Ruhe befreiten Zeit

Predigt zum 3. Fastensonntag 2012 (Ex 20,1-17)

Einleitung

Ich muss manchmal an den kleinen Gabriel aus meiner ersten Pfarrei denken. Seine Mutter las ihm immer eine Geschichte aus der Bibel zum Einschlafen vor. Als die Schöpfungsgeschichte dran war, malte er den siebten Schöpfungstag, wo Gott von all seinen Mühen ausruht. Er malte ein ganz besonderes Bild dazu: Gott liegt mit der Badehose in der Hängematte, hat eine Sonnenbrille auf und ein Gänseblümchen im Mund, faulenzt und lächelt. Heute hören wir wieder vom Ruhetag Gottes. Bis heute für die Juden ein Aufruf, es Gott am Sabbat nachzumachen. Dieser Aufruf ist als drittes Gebot in die zehn Gebote eingegangen. Wir hören sie heute als Lesung. Und bis heute gehört der Sabbat zu den ehernen Säulen und zum Lebenselixier des Judentums.

Predigt

Es fällt immer auf, dass in den zwei Fassungen, in denen uns die 10 Gebote vorliegen, ein Gebot alle anderen bei weitem an Länge übertrifft. Es ist das dritte Gebot, das Sabbatgebot:
„Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat.
Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebenten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt.“

Bis heute glauben die Juden, dass der Sabbat das größte Geschenk aus den Händen Gottes ist. Bis heute sagen sie: „Nicht wir halten den Sabbat, sondern der Sabbat hält uns!“ Dieser Ruhetag schenkt uns Kraft und Identität. Mich beeindruckt es zutiefst, wie fromme Juden diesen Sabbattag bis heute feiern.

Am Freitag bäckt die Mutter die Sabbatbrote und richtet am Nachmittag die Wohnung wie zu einem großen Fest. Der Tisch wird auch in der ärmsten Stube festlich weiß gedeckt. Symbolisch nimmt man aus den Hosentaschen alles Geld heraus. Kein Geschäft, keine Alltagssorge, keine Arbeit soll vom Tag der Ruhe ablenken. Das gesamte Festessen für den Sabbat ist vorbereitet und wird auf einen speziellen Warmhalteofen gestellt. Denn wenn der Sabbat beginnt, darf ihm wahrsten Sinn des Wortes kein Strich mehr getan werden.
Beim Abendgebet in der Synagoge eine eindrucksvolle Szene: Wenn der erste Abendstern am Himmel erscheint wird der Sabbat mit dem Lied „Lecha Dodi“ „Komm mein Freund, dem Sabbat entgegen!“ begrüßt. Immer wieder wechseln Vorsänger und Gemeinde sich in diesem feierlichen Gesang ab. Der Sabbat wird in seinen Wonnen und seinem Segen besungen. Und immer wieder: „Lecha dodi, Komm mein Freund, dem Sabbat entgegen.“

- Orgel spielt die Melodie von Lecha Dodi -

Die beeindruckenste Szene: Beim letzten „Lecha Dodi“ wendet sich die gesamte Gottesdienstgemeinde um, schaut wie gebannt zur Tür, die Tür geht auf, alle jubeln und begrüßen symbolisch den Sabbat wie eine schöne Braut.

Daheim in der Familie entzündet dann die Mutter feierlich die beiden Sabbatkerzen und spricht den Segen über die Lichter. Der Vater segnet seine Kinder, zuerst die Buben, dann die Mädchen. Die Mutter setzt sich auf einen geschmückten Platz. Vater und Kinder singen das Lobes-Alphabet aus dem Buch der Sprüche auf die tüchtige Frau. Und gemeinsam singen sie „Schalom alechem“ Friede sei mit euch. Familienstolz, Familienzusammenhalt wird hier zelebriert.

Alle stehen dann zum feierlichen Moment auf. Der Vater schenkt den sogenannten Kiddusch-Becher bis zum Rand gefüllt mit Wein ein, singt: „So vollendete Gott am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hat, und ruhte am siebten Tag aus.“ Dann trinkt er davon und lässt den Becher bis zum Jüngsten kreisen.
Dann segnet er die Sabbatbrote und schneidet für jeden ein Stück ab, und ein fröhliches Abendmahl mit besten Speisen beginnt. Der Sabbat soll schmecken und durch den Magen gehen. Lieder auf den Sabbat werden gesungen und die Familie bleibt den gesamten Abend zusammen.

Am Sabbat schläft man länger als sonst, alles soll an diesem Tag anders sein. Jetzt ist Zeit für die Muße. Ein frommer Jude will Gott nachmachen, was er am siebten Tag gemacht hat: ausruhen. Keinerlei Arbeiten verrichten, keine Silbe schreiben, höchstens 2000 Schritte gehen, Sportveranstaltungen wären ein Gräuel, kein Computer, kein Fernseher, keine Stereoanlage. Wie einen Schutzzaun legt das Judentum die verbotenen Arbeiten um den Sabbat. Gottesdienstbesuch, miteinander reden, einen Tora-Abschnitt lesen, das Hochgefühl des Sabbats genießen und dankbar guter Dinge sein, das raten die Rabbinen.

Und dann am Abend wieder ein beeindruckender Ritus zur Verabschiedung des Sabbats. Während der Sabbat am Freitagabend nicht früh genug beginnen konnte, deshalb der Beginn mit dem ersten Abendstern, wird er am Samstagabend solange wie möglich hinausgeschoben. Erst mit dem Erscheinen des dritten Abendsterns beendet man ihn. Dies geschieht wieder mit einem einprägsamen Ritus. Hawdala heißt er und bedeutet „Trennung“. Trennung von Sabbat und Alltag. Der Hausvater gießt wieder Wein in den Becher und lässt ihn bewusst überlaufen. So übervoll möge uns Gott in der kommenden Woche mit Schönem und Gutem überschütten, bedeutet dies. Dann löscht der Hausvater mit dem übergeflossenen Wein die Hawdalakerze, die zwei Dochte hat. Wenn ihr Licht erlöscht, sollen die Weisungen Gottes im Alltag weiterleuchten. Zum Schluss nimmt der Vater die sogenannte Besomimbüchse, die mit wohlriechenden Kräutern und Gewürzen gefüllt ist, und jeder riecht daran. Die Menschen sollen noch einmal tief den Duft des Sabbats einsaugen, mit den Segnungen des Sabbats in die neue Woche hineingehen und Kraft aus seiner Feier für die Bewältigung des Alltags schöpfen.

Liebe Leser, für die Juden ist der Sabbat ein „Vorgeschmack des Paradieses“. Regt mich als Christen vielleicht ein Punkt der jüdischen Sabbatfeier an, meinen Sonntag wieder bewusster zu gestalten?


Pfarrer Stefan Mai

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