Augenblicke, wo die Zeit still steht

Predigt zum 2. Fastensonntag (Mk 9,2-10)

Einleitung

Für Leute in der Pastoral und der Gemeindeseelsorge ist die Fachzeitschrift „Anzeiger für die Seelsorge“ ein Begriff. In dieser Zeitschrift gibt es eine Seite mit dem Titel „Persönlich“. Auf dieser Seite werden bekannten Persönlichkeiten Fragen gestellt, die sie möglichst kurz beantworten sollen. Eine dieser Fragen lautet: „In welchen Momenten empfinden Sie tiefes Glück?“
In diesen Tage ist die neueste Nummer (3 -2012) eingetroffen. Die Fragen werden diesmal dem Publizisten Andreas Püttmann gestellt. Auf die Frage: „In welchen Momenten empfinden Sie tiefes Glück?“ antwortet er: „In den Atlantikwellen vor der ‚Insel des ewigen Frühlings’, auf der Heimreise nach einem dankbar aufgenommenen Vortrag, beim Abendgebet im Lichtschein des Mondes über dem nächtlichen Rhein...“
Wenn man Ihnen diese Frage stellen würde: „In welchen Momenten empfinden Sie tiefes Glück?“, was wäre Ihre Antwort?

Predigt

„Ich wäß net, die Zeit vergeht heut gor net“, meint die alte Frau, sitzt am Fenster und schaut auf die Straße hinaus. Die Uhr tickt im Zimmer. Sonst ist es ruhig. „Ich hab doch erst Kaffee getrunken und kann doch nicht schon wieder das Mittagessen vorbereiten.“

Samstagabend. Die Mutter liegt schon im Bett. Ihr Sohn ist 18. Seit ein paar Wochen hat er den Führerschein und ist seitdem mit seinen Freunden jede Samstagnacht mit dem Auto weg. Sie liegt wach im Bett und kann einfach nicht einschlafen. Schaut auf die Uhr, 1 Uhr, 2 Uhr und er ist immer noch nicht daheim. Da werden Minuten zu Stunden.

Mein Gott, wenn doch schon Mittwoch wär, denkt der Mann andauernd am Sonntag. Aber die drei Tage bis dahin dauern eine Ewigkeit. Die Nerven drohen zu zerreißen, bis er endlich gesagt bekommt, wie der Befund ausschaut: Ist der Tumor bösartig oder nicht?
Lebenssituationen, in denen Zeit Menschen unendlich lang vorkommt. Es kann aber auch ganz anders sein:

„Wo nur die Zeit hingekommen ist die Stunden vergingen wie im Flug“ - sagen sich die zwei Schulfreunde beim Abschied. Nach langer Zeit haben sie sich wieder einmal getroffen haben. Sie hatten sich eine gemütliche Kneipe gesucht, miteinander gegessen und erzählt und erzählt und über frühere Erlebnisse gelacht.

„Tanja, hast du denn die Zeit ganz vergessen, du musst doch weg zu deiner Klavierstunde, es ist gleich drei Uhr!“ „Ach Mama“, kommt´s aus dem Zimmer, „ich hab gerade meinen Freundinnen vom Facebook geschrieben, da hab ich gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vergeht.“

Stunden können vergehen wie im Flug, Sekunden können kriechen und Stunden eine Ewigkeit dauern. Wie unterschiedlich Zeit empfunden werden kann!

Im heutigen Evangelium von der Verklärung Jesu auf einem hohen Berg, das heißt dem Himmel nahe, wird von einem besonders dichtem Zeitempfinden erzählt. Da ist die Zeit, die die Drei mit Jesus zusammen sind, besonders dicht gefüllt. Ja die Zeit scheint direkt aufgehoben zu sein. Kein Wunder, dass Petrus diesen erlebten Glücksmoment festhalten will, dass er Hütten bauen will und damit Zeit und Raum konservieren möchte: „O Augenblick verweile, du bist so schön!“ „Dem Glücklichen schlägt keine Stunde.“
Den drei Jüngern wird ein Moment geschenkt, wo man eigentlich nichts mehr will, wo die Zeit stillzustehen scheint, wo mich gefühlsmäßig ein Hauch der Ewigkeit anweht. Intensivstes Erleben und Auskosten.
Wem solche Momente im Leben geschenkt werden, der weiß, dass er diese nicht festhalten kann, wie gerne er es auch möchte. Auch wenn der Weg dann bald wieder zurückführt in die Niederungen des Alltags, eines bleibt: Solche Erlebnisse haben Wirkung, schenken Lebensenergie und Weite.

Die Botschaft des heutigen Evangeliums lautet für mich:
Keine Sekunde kann festgehalten werden und doch ist jeder intensiv gefühlte Augenblick ein Stück Glückseligkeit. Gerade in solchen Momenten spüren wir etwas vom Saum des Mantels Gottes. Und: Wer einen Augenblick Gott erahnt hat, wird ihn zeitlebens suchen.

Fürbitten

Wir beten für alle Menschen, die sich zu Tode langweilen

Wir beten für alle, die alles im Leben mitnehmen möchten und deshalb in eine gnadenlose Hetze geraten

Wir beten für alle, die im Warten auf eine wichtige Nachricht wie auf die Folter gespannt sind

Wir beten für alle, die schöne Stunden und tiefes Glück erleben

Wir beten für alle, die schönen Stunden nachtrauern oder auf glückliche Stunden hoffen

Wir beten für unsere Toten. In diesem Gottesdienst denken wir an...


Pfarrer Stefan Mai

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