Angefüllt oder erfüllt?

Predigt zum 1. Fastensonntag 2012

Gestern wurde in der Johanniskapelle in Gerolzhofen eine Ausstellung mit dem Thema „Zeit“ eröffnet. Die Würzburger Malerin Barbara Schaper-Oeser stellt in dem mittelalterlichen Bau moderne Bilder, Collagen und Objekte zum Thema „Zeit“ aus. Diese wollen zum Nachdenken anregen, was die Zeit aus uns macht und was wir aus der uns zur Verfügung stehenden Zeit machen.

Die alten Griechen kannten zwei Namen für die Zeit. Der eine war Chronos. Diesen Namen hatte der Gott der Zeit. Die griechische Mythologie sagt: Chronos verschlingt seine Kinder. Die Zeit läuft dahin und keine Stunde kann man zurückholen. Unaufhaltsam vergeht Stunde um Stunde, Lebenszeit um Lebenszeit. Unter Chronos verstanden die alten Griechen die getaktete Zeit, die immer gleichen Vorgänge, die Mühle des Alltags, die angefüllte Zeit:
Wecker klingelt, Aufstehen, Kaffee und Zeitungslesen, Autofahrt zur Arbeit, Büro, Geschäft, Fabrik, Essen, Arbeit, Essen, Schlafen, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, immer derselbe Rhythmus. Eines Tages aber steht das Warum da.

„In Zeitnot geraten, wie in ein Netz, ist der Mensch“, meint der russische Dichter Jewtuschenko, „atemlos hetzt er durch sein Leben und wischt sich den Schweiß. Ein Fluch des Jahrhunderts ist diese Eile.
Es wird ganz eilig gezecht und ganz eilig geliebt, ganz tief sinkt die Seele dabei, man martert ganz eilig, vernichtet ganz eilig, ganz eilig sind später Reue und Buße vorbei
Du aber halte wenigstens, halt inne in deiner Welt,
sei´s, wenn sie schläft, sei´s, wenn sie tobt:
Auf halbem Wege wenigstens bleib stehen,
dem richtenden Himmel vertraue dich an,
denke nach, besinne dich, wenn nicht übr Gott,
so doch wenigstens ganz einfach über dich selbst.“

Die Griechen kannten aber auch eine andere Art von Zeit, den Kairos. Das sind Augenblicke, wo man die Zeit anhalten möchte, Momente, wo man das Leben besonders tief empfindet und am liebsten mit Goethe sagen würde: „O Augenblick verweile, du bist zu schön!“. Diesen Kairos stellten die alten Griechen als Gott mit Flügelschuhen dar, als ob er vom Himmel geschickt wird, mit einer große Locke auf der Stirn und einer Glatze auf dem Hinterkopf. Sie wollten damit sagen: Der Kairos, der günstige Augenblick, ist ein Geschenk des Himmels, du darfst ihn aber nicht verpassen, den musst du am Schopf packen!

Jeder von uns kennt diese zwei verschiedene Arten von erlebter Zeit in seinem Lebensalltag, im Beruf und in seiner Arbeit, in der Beziehung und in der Familie. Jeder kennt Termindruck und Zeitmangel, was in die Hetze treibt. Und jeder erinnert sich an Augenblicke im Leben, da wussten wir: Jetzt kommt es darauf an. Jetzt wird dir eine Chance, eine glückliche Stunde vom Himmel geschickt.

Heute haben wir vom ersten Auftreten Jesu im Markusevangelium gehört. Die ersten Worte aus dem Mund Jesu heißen: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.“ Bedeutet das nicht: Sei offen und aufmerksam und spüre in solchen dichten Momenten der erfüllten Zeit etwas vom Atem des ewigen Gottes? Könnte das nicht heißen: Nutze die Fastenzeit, mach dir bewusst, was eine nur mit Pflichten, Terminen und Arbeit angefüllten Zeit mit dir auf Dauer Macht? Durchbreche manchmal die Regeln und das Diktat der angefüllten Zeit und erlaube dir, Momente der erfüllten Zeit zu genießen?

Eine er-füllte Fasten-Zeit - das wünsche ich Ihnen und mir.


Pfarrer Stefan Mai

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