Wovon Kraft ausgeht

Predigt zum 6. Sonntag im Jahreskreis (Mk 1,40-45)

Einleitung

Wenn Menschen schwer krank werden, dann spüren sie, wie schnell man soziale Kontakte verliert, wie schnell man vergessen wird und ins Abseits gerät, nicht mehr wahrgenommen wird und sich isoliert vorkommt.
Die Lesungen des heutigen Sonntags erzählen von einer Geißel des Altertums, vom Aussatz. Sie erzählen, wie man aus Angst vor Ansteckung mit ihr umgegangen ist. Und sie erzählen, wie Jesus die Not von Menschen wahrnimmt, die ausgegrenzt und isoliert werden.


Predigt

Der Aussatz war zur Zeit Jesu eine furchtbare Geißel. Wehe dem, der von dieser Krankheit geschlagen wurde. Nicht nur, dass sie körperlich entstellte, dass er Schmerzen aushalten musste, war das Schlimme an dieser Krankheit. Das Schlimmste war, dass der Kranke isoliert und vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt wurde, aus Angst vor Ansteckung.

Das Buch Levitikus gibt hierfür klare Anweisungen:
Der Aussätzige soll eingerissene Kleider tragen und das Kopfhaar ungepflegt lassen; er soll den Schnurrbart verhüllen und ausrufen: „Unrein, unrein! Er soll abgesondert wohnen, außerhalb des Lagers soll er sich aufhalten (vgl. Lev 13,45f.).


Was diese Vorschrift bedeutet, kann man erst in seiner Wucht ermessen, wenn man weiß, dass die eingerissenen Kleider, die Verhüllung des Mundes und die Vernachlässigung des Haares in Israel die typischen Zeichen der Trauer um einen Verstorbenen waren. Der Aussätzige war damit schon mitten im Leben zu den Toten gezählt.

Ausgegrenzt sein, gemieden werden, wie viele Menschen leiden auch heute unter diesem Phänomen, auch wenn der Aussatz in unseren Breiten längst ausgerottet ist. „Ich bin doch keine Aussätzige!“, schrie die Frau verzweifelt, „dass man mir aus dem Weg geht, dass man mit mir nichts zu tun haben will.“

Immer wieder erzählt das Neue Testament davon, dass Jesus diese Schranken durchbricht, auf Ausgegrenzte zugeht, ja sie sogar berührt. Es erzählt davon, dass dieses Wahrnehmen und in Berührung kommen Wunder bewirken kann.

Das ist bis heute so. Ein Missionar erzählt:
In einer Stadt war ein Ghetto für Leprakranke eingerichtet. Aus Angst vor Ansteckung wurden die Kranken wie Gefangene auf einem Gebiet gehalten, in dem sie einige Felder zu bestellen hatten. Das Gelände war von einer hohen Mauer umgeben. Einer der Kranken fiel immer durch seine ruhige Gelassenheit auf. Man fragte ihn, warum gerade er sein Schicksal so gefasst tragen könne. Er sagte: „Ich weiß, dass die Mauer an einer Stelle ein Loch hat. Da geht von Zeit zu Zeit meine Frau vorbei und wirft einen Blick herein. Ich kann sie zwar nicht sehen, aber mir genügt es zu wissen, dass sie mir immer wieder einen Blick schenkt. Das genügt mir. Davon kann ich leben.“

Unvergessen bleiben mir Worte des Dichterpfarres Wilhelm Willms, der einmal fragte:

Wusstest du schon,
dass die Nähe eines Menschen
gesund machen,
krank machen,
tot und lebendig machen kann?
Wusstest du schon,
dass die Nähe eines Menschen
gut machen,
böse machen,
traurig und froh machen kann?
Wusstest du schon,
dass das Wegbleiben eines Menschen
sterben lassen kann,
dass das Kommen eines Menschen
wieder leben lässt?
Wusstest du schon,
dass die Stimme eines Menschen
einen anderen Menschen
wieder aufhorchen lässt,
der für alles taub war?
Wusstest du schon,
dass das Wort oder das Tun
eines Menschen
wieder sehend machen kann,
einen, der für alles blind war,
der nichts mehr sah,
der keinen Sinn mehr sah
in dieser Welt
und in seinem Leben?
Wusstest du schon,
dass das Zeithaben für einen Menschen
mehr ist als Geld,
mehr als Medikamente,
unter Umständen mehr,
als eine geniale Operation?
Wusstest du schon,
dass das Anhören eines Menschen
Wunder wirkt?
Dass das Wohlwollen Zinsen trägt,
dass ein Vorschuss an Vertrauen
hundertfach
auf uns zurückkommt?
Wusstest du schon,
dass DU dieser Mensch sein kannst?


Fürbitten

Gott, immer wieder wird erzählt, dass das Zugehen Jesu auf Menschen und seine Berührungen heilsam waren. Wir bitten dich:

Berühre die Regierenden, dass sie für ein gutes Miteinander unter den Völkern dieser Erde einstehen und sich für den Frieden einsetzen
Berühre den Papst und die Bischöfe, dass sie eine lebendige Kirche wünschen und fördern
Berühre die Kranken, dass sie deine heilende Nähe und neue Lebenskraft spüren
Berühre die Verschlossenen, dass sie Vertrauen fassen und sich wieder dem Leben öffnen
Berühre uns, damit wir frei und ungezwungen auf Menschen zugehen können
Berühre unsere Toten und lass sie Glückseligkeit in deiner Nähe erleben.
In diesem Gottesdienst beten wir für......

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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