Der Traum unverwundbar zu sein

Predigt zum Sebastianitag

Predigt

Die germanische Siegfried-Sage erzählt von dem tapferen und unbesiegbaren Siegfried. Siegfried galt als unverwundbar. Als er einmal einen Drachen besiegt hatte, badete er sich in dessen Blut. Und dieses Drachenblutbad legte um seine Haut einen Schutzfilm, den kein Pfeil, kein Schwert und keine Lanze durchbohren konnte. Nur an einer Stelle war Siegfried verletzlich geblieben. Denn beim Baden im Drachenblut war ihm ein Lindenblatt auf den Rücken gefallen. Und an dieser Stelle, zwischen den beiden Schulterblättern blieb er verwundbar.
Siegfrieds Widersacher Hagen, der sich als Freund ausgab, ging eines Tages zu Krimhild, der Frau Siegfrieds, und täuschte vor, dass er um das Leben Siegfrieds besorgt sei wegen dieser verletzlichen Stelle und bat Krimhild, ihm diese zu verraten, damit er im Krieg diese mit seinem Schild ständig schützen könne. Krimhild nähte daraufhin Siegfried ein rotes Kreuz auf den Waffenrock, genau an die verletzliche Stelle zwischen den Schulterblättern. Sie hatte somit das Geheimnis der Unverletzlichkeit preisgegeben. Als Siegfried mit König Gunter und Hagen wieder einmal auf der Jagd war, kniete er sich nieder, um aus einer Quelle zu trinken. Da nahm Hagen seinen Speer und rammte ihn durch das aufgenähte Kreuz Siegfried ins Herz.

Unverletzlich, unbesiegbar zu sein, das ist ein uralter Traum der Menschheit. In immer neuen Variationen und Ausprägungen wird er lebendig. Wie viele Comics und Fernsehsendungen sind voll von solchen unbesiegbaren Siegfriedtypen. Aber helfen all diese Sendungen, mit dem Leben umzugehen, wie es wirklich ist?

„Das Leben ist ein Kampf. Sieh dass du Sieger bleibst!“ Das ist ein heroischer Spruch. Aber irgendwann kommt für einen jeden Menschen die Stunde, wo er verletzt und verwundet wird und Niederlagen einzustecken hat. Und dann steht die Frage da: Wo und wie hat er gelernt, mit Verwundungen und Niederlagen umzugehen?

Die Sebastianiverehrung stellt uns einen Menschen vor Augen, der übersät ist von Pfeilen: Angebunden an einen Baum. Völlig wehrlos, durch viele Pfeile verwundet, die die numidischen Bogenschützen auf ihn abgefeuert haben, weil er sich als Soldat weigerte, dem christlichen Glauben abzuschwören. Sie beschossen ihn so lange, bis er blutüberströmt zu Boden sank.

Die Sebastianiverehrung sagt durch diese drastische Darstellung: Mensch, du bist verwundbar. Du gehst nicht als Strahlemann und glänzender Siegertyp durchs Leben. Irgendwann treffen sie dich, die Pfeile giftiger Worte, die Pfeile der Missgunst und der Aggression, vor allem dann, wenn du kein Wendehals bist, feste Prinzipien hast und klar zu deiner Meinung und deinem Gewissen stehst.
Die Sebastiansdarstellungen sagen mir: Mensch du bist verwundbar. Irgendwann trifft er dich, der Pfeil einer schweren Krankheit, der dir die Kraft und den Lebensmut nimmt. Wie kann ich lernen, mit diesen Verwundungen des Lebens umzugehen, wie sie einmal verkraften?

Die Sebastianslegende gibt ganz verdeckt Hinweise, wie Menschen solche Lebenssituationen durchstehen können. Sie erzählt:
Nachdem Sebastian am Erschießungspfahl zu Boden gesunken war, glaubte man, er sei tot. Eine Witwe, namens Irene, die ihn begraben wollte, merkte, dass er noch am Leben war. Sie pflegte ihn gesund. Sebastian trat dem Kaiser mutig entgegen und machte ihm Vorhaltungen wegen seiner Grausamkeit gegen die Christen. Der Kaiser erschrak, als er den Totgeglaubten vor sich sah. Er gab den Befehl, ihn totzuschlagen. Seinen Leichnam ließ er in die Kloake werfen. Doch die Christin Lucina barg den Leichnam und begrub ihn an der Via Appia.

Die Sebastianslegende deutet durch diese Schilderung an. Wenn du tief verletzt wurdest, wenn du am Boden bist, dann kommst du durch eigene Kraft nicht einfach wieder hoch, dann brauchst du Menschen wie Irene, die es gut mit dir meinen, dir Gutes tun und dir gut tun. Nicht umsonst trägt die Witwe den Namen Irene, aus dem griechischen übersetzt „Friede“. Gerade solche Menschen, die einen inneren und äußeren Frieden ausstrahlen sind Balsam in den Verwundungen des Lebens.

Auch die zweite Frau trägt in der Legende einen symbolischen Namen. Lucina heißt sie - Lichtbringerin. Sie begräbt den toten Sebastian. Ob hinter dieser Schilderung nicht die Botschaft steckt: Hinter dem Dunkel des Todes wartet auf dich ein Licht. Da führt einer vom Tod zum Leben, aus der Bedrängnis in den Frieden, aus dem Dunkel in das Licht.

Liebe Leser,
am Sebastianitag steht vor unseren Augen die Figur des verwundeten Sebastian. Mir sagt sie: Träum nicht den Traum von der Unverwundbarkeit. Bete lieber darum, dass in den Stunden, in denen du die Verwundungen des Lebens schmerzlich spürst, dir gute Menschen zur Seite stehen und dir der Glaube erhalten bleibt, dass in der dunklen Stunde des Todes dir ein neuer Morgen im Licht Gottes verheißen ist.


Fürbitten

Herr, unser Gott, täglich haben Menschen Schweres zu ertragen. Wir bitten dich:

V/A: Kyrie eleison

Wir beten für alle, die an den Verletzungen aus ihrer Kinderzeit schwer tragen und nicht damit fertig werden

Wir beten für alle, die schwer krank sind an Leib oder Seele

Wir beten für alle, die durch böse Worte, Verleumdung oder Missachtung schwer verletzt sind und kein Vertrauen in Menschen mehr haben

Wir beten für deine Schöpfung, der durch Rücksichtslosigkeit und Profitgier schwere Verwundungen zugefügt werden, die vielleicht nie mehr heilen

Wir beten für alle, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, Hilfsbedürftigen und Außenseitern unserer Gesellschaft zur Seite zu stehen und die Stimme für sie zu erheben

Wir beten für unsere Toten. In diesem Gottesdienst beten wir für...

Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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