Wie kommt Stefanus zum Pferd

Predigt zum Stefanustag

Einleitung

In Westfalen und in Oberfranken gibt es den Brauch des Stefanusrittes. Die Pferdebesitzer aus der Gegend kommen zusammen, feiern Gottesdienst und lassen sich dann mit ihren Pferden segnen.
Aber merkwürdig! Überall auf den Darstellungen ist Stefanus als Diakon mit Steinen zu sehen. Wie kommt er eigentlich zum Pferd?
Dass es einen Leonhardiritt gibt oder am Tag des hl. Wendelin Pferdesegnungen stattfinden, das ist noch leicht erklärbar. Sind doch Leonhard und Wendelin die typischen Bauernpatrone.
Aber Stefanus? Der kommt nur auf Umwegen zum Pferd. Und das hat mit einer zweiten wichtigen Person im Urchristentum zu tun. Wenn Sie bei der Lesung heute genau hinhören, können Sie dem Rätsel auf die Spur kommen.

Predigt

Zu Beginn des Gottesdienstes habe ich Ihnen heute ein Rätsel aufgegeben: Wie kommt Stefanus zu seinem Pferdepatronat? Des Rätsels Lösung hängt mit dem Ende der Stefanusgeschichte zusammen. Sie hat mit dem Satz zu tun: „Die Zeugen legten ihre Kleider nieder zu den Füßen eines jungen Mannes, der Saulus hieß“(Apg 7,60).
Zum ersten mal in der Bibel taucht dieser Mann namens Saulus hier in dieser kurzen Randnotiz auf - und später füllen seine Taten und Reisen dann das Buch der Apostelgeschichte. Wie es mit diesem Saulus weitergeht, wissen wir: Aus dem Verfolgertyp wird der größte christliche Verkündiger. Der mit der Steinigung des Stefanus völlig einverstanden war, der dann den Christen so im Nacken saß, sie ins Gefängnis bringen wollte - der steckt selber dann für den christlichen Glauben Schläge ein; auf ihn selbst werden dann Steine geworfen und er landet mehrmals im Gefängnis.
Aus dem Verfolger wird ein Verkündiger, aus dem Saulus ein Paulus - und das alles hat mit einem Pferd zu tun. Davon ist in der Bibel mit keinem Wort die Rede, aber wir stellen uns das so vor. In vielen Bildern haben Maler diese dramatische Szene auf die Leinwand geworfen. Paulus ist auf dem Weg nach Damaskus, um dort die Christen gefangen abzuführen - da hebt ihn eine Stimme aus dem Sattel. „Saulus, warum verfolgst du mich?“ Man sieht Paulus durch die Luft wirbeln, dem Pferd zieht es die Hufe weg, und beide, Reiter und Pferd, liegen ohnmächtig strampelnd am Boden. Das war der Beginn der christlichen Karriere des Paulus.
Wer hätte am Tag der Steinigung des Stefanus geglaubt, dass aus diesem Saulus noch etwas werden kann? Es musste ihn erst vom Pferd schmeißen!
Liebe Leser! Was soll denn aus dem oder der noch werden?, fragen oft verzweifelt Eltern und Lehrer - und staunen später, was aus dem oder der tatsächlich geworden ist. Und oft war für diese Wende ein Damaskuserlebnis ausschlaggebend: Sie sind auf die Schnauze gefallen. Es hat sie vom hohen Ross der Selbstgefälligkeit und Angeberei heruntergehaut und zum Nachdenken gebracht.
Der Stefanusritt mit dem Brauch der Segnung will die Reiter davor bewahren, dass es sie vom Pferd haut. Aber - so hart es klingt - ist es nicht manchmal ein Segen, wenn es uns Menschen auf die Schnauze haut und wir dadurch anders werden?

Fürbitten

Herr, unser Gott, mit der Lebensgeschichte des hl. Stefanus ist die Lebensgeschichte des Saulus, der zum Paulus wurde, eng verwoben.

Um Lebenschancen für alle Kinder, die keine Geborgenheit und keine liebende Fürsorge in ihrem Elternhaus erfahren dürfen …

Um Lebenschancen für alle, denen die Zugangswege zu einer guten Ausbildung in Schule und Beruf versperrt sind …

Um Lebenschancen für alle, die aus der Haft entlassen werden und nicht wissen, ob sie wieder im gesellschaftlichen Leben Fuß fassen können …

Um Lebenschancen für alle, die einen großen Fehler in ihrem Leben begangen haben und mit ihrer Schuld nicht fertig werden …

Um Leben in Fülle bei dir für unsere Toten. In diesem Gottesdienst denken wir an …

Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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