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Predigt zum 3. Adventssonntag (Joh 1,6-8.19-28)

Einleitung

Stellen Sie sich es einmal vor, Sie bekommen zwei Fragen vorgelegt und werden gebeten, zu den zwei Fragen einfach typische Eigenschaftswörter zu finden.

Frage 1:
Sie sind...........
Welche Eigenschaftswörter würden Sie für sich selbst als typisch und treffend finden? - (Pause) -

Frage 2:
Die Kirche ist......
Welche Eigenschaftswörter fallen Ihnen dazu ein?

War das Wort suchend oder fragend dabei?

Predigt

„Frag net so dumm!“ - Sind Fragen dumm?
„Wer lang fragt, geht lang irr!“, so reagiert mancher, der eine Frage hat, sie auch stellt, aber nur Achselzucken erntet und keinerlei Bereitschaft erkennt, dass seine Fragen ernst genommen werden. Wer lang fragt, geht lang irr! Verdient dieses Wort einen Platz in der Volksweisheit?
Da gibt es zum Thema „fragen“ ganz andere Stimmen.
Der amerikanische Topmanager John Stack meint: „You will never know unless you ask. Du wirst nichts erfahren, wenn du nicht fragst.“ Und der französische Anthropologe Claude Levi Strauss formuliert: „Ein Weiser gibt nicht die richtigen Antworten, sondern er stellt die richtigen Fragen.“
Im Gegensatz zu der Meinung: „Fragen sind dumm“, „Fragen bringt nix!“ steht die Überzeugung: Fragen stellen zeigt Interesse, fragen bringt weiter und weckt Erkenntnis.

Johannes der Täufer lebt so, dass er gefragt wird. Er ist buchstäblich ein gefragter Mann. Da kommen die Leute zu ihm und fragen ihn: „Wer bist du? Bist du der Messias? Bist du ein Prophet?“ Die Antwort ist: „ Nein!“. Der gefragte Johannes macht vielmehr deutlich, dass er nicht die Antwort auf die Fragen hat, und dass er nicht die Antwort auf die Frage ist, dass er selbst ein Fragender ist.
Er verweist weiter und will hellhörig machen für das Kommen eines anderen. Für diesen setzt er seine ganze Kraft ein und sucht selbst.
Es ist fast tragisch, dass in dem Augenblick, in dem der Verheißene dann auftritt, sich die Spur des Predigers im Kamelfell im Sand der Wüste verliert und wir den Fragenden als unsicheren Mann im Gefängnis finden, der sich selbst fragt, ob er den Richtigen angekündigt hat: „Bist du es oder müssen wir auf einen anderen warten?“

Dieser fragende Johannes wird uns andauernd in der Adventszeit von der Kirche als die prophetische Gestalt vor Augen gestellt. Und ich frage mich: Könnte dieser Vorläufer nicht gerade ein Vorbild für die Kirche, für eine glaubwürdige Kirche in unserer Zeit sein? Nach dem Motto: „Sie suchen Antworten auf wichtige Fragen Ihres Lebens? Wir haben sie - nicht! Aber wir suchen mit Ihnen!“

Glauben Sie nicht, dass dieser Werbeslogan unserer Kirche sehr gut tun würde und ihr Bild in der Öffentlichkeit verändern würde“?
„Sie suchen Antworten auf wichtige Fragen Ihres Lebens? Wir haben sie - nicht! Aber wir suchen mit Ihnen!“ Was wäre das für eine Kirche, die diesen Slogan ernst nehmen würde?

„Sie suchen Antworten auf wichtige Fragen Ihres Lebens?“
Sie wollen wissen, wie ein gutes, erfülltes Leben aussehen könnte? Sie möchten Anregungen, wie Sie schwierige Situationen durchstehen und Probleme meistern sollen?
„Wir haben sie nicht!“ Wir haben sie nicht als fertige Rezepte, die wir Ihnen einfach mitgeben. Wir haben sie nicht - als Formeln und fromme Floskeln, mit denen wir Sie abspeisen. Wir haben sie nicht - als Katechismussätze, die weit weg sind von Ihren persönlichen Erfahrungen.
Aber wir suchen mit Ihnen ...!
Wir suchen mit Ihnen, wenn wir in unseren Kirchen Gottesdienste feiern und die Texte Stoff zum Nachdenken geben. Wir suchen mit Ihnen, wenn wir uns in den Gemeindezentren treffen und über Lebensfragen nachdenken. Wir suchen mit Ihnen in Bibelkreisen und fragen nach Worten, die im Leben tragen können. Wir suchen in unseren Kindergärten in einer interessierten Elterngruppe mit Ihnen, wie junge Familien heute den Glauben im familiären Alltag leben können.

„Sie suchen Antworten auf wichtige Fragen Ihres Lebens? Wir haben sie - nicht! Aber wir suchen mit Ihnen!“
Ja, was wäre das für eine Kirche, die diesen Slogan ernst nehmen würde? Wie könnte sie ausschauen?

Den Werbeslogan hat Wolfgang Raible in100 Kurzansprachen, S. 50 formuliert


Fürbitten

Mit Johannes dem Täufer wird uns ein fragender und suchender Mensch vor Augen gestellt. Wir bitte dich heute:

Für die Kirche, dass sie sich ständig fragt, wie sie die Erinnerung an Jesu heilendes und tröstendes Wort in der Welt wach halten kann und wozu Jesus sie heute herausfordert

Für die Politiker in unserem Land, dass sie die wichtigen Fragen unserer Zeit erkennen und angehen

Für alle Menschen, die mit vielen offenen Fragen leben müssen und keine Antwort für sich finden. Dass sie Menschen begegnen, denen sie vertrauen können

Für unsere Toten. In diesem Gottesdienst denken wir an............
Dass sie bei dir die Antwort auf die Rätsel ihres Lebens gefunden haben

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn


Pfarrer Stefan Mai

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