Den Menschen ein Mensch

Predigt zum Christkönigsfest 2011 (Mt 25,31-46)

Mensch, jetzt hör endlich damit auf!
Mensch, war das einfach schön!
Mensch, weißt du eigentlich, was du da getan hast?
Mensch, überleg es dir noch einmal!
Mensch, das hätte ich nie gedacht!
Mensch, weißt du eigentlich wie weh das tut!

Wenn wir in der Umgangssprache solche Sätze formulieren, wenn kein Vorname genannt wird, sondern das Gegenüber einfach mit „Mensch“ angesprochen wird, kommt es mir vor, bekommen die Worte immer ein besonderes Gewicht. Da wird an das Menschsein erinnert, da bekommt dieses Wort Mensch eine besondere Qualität. Um nichts anderes als um „Mensch-Sein“ geht es im heutigen Evangelium.

Eine Atem beraubende Szene. Der Menschensohn setzt sich als König auf den Thron der Herrlichkeit, um Gericht zu halten. Alle Menschen dieser Welt werden zusammengerufen. Es heißt ausdrücklich: Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden. Der König stellt keine großen Prüfungsfragen.

Der Herr wird nicht fragen, so heißt es in einem bekannten Lied: Was hast du gespart,
was hast du alles besessen? Seine Frage wird lauten:
Was hast du geschenkt, wen hast du geschätzt,
um meinetwillen?
Der Herr wird nicht fragen: Was hast du gewusst,
was hast du Gescheites gelernt?
Seine Frage wird lauten:
Was hast du bedacht, wem hast du genützt,
um meinetwillen?
Der Herr wird nicht fragen: Was hast du beherrscht,
was hast du dir unterworfen? Seine Frage wird lauten:
Wem hast du gedient, wen hast du umarmt,
um meinetwillen?
Der Herr wird nicht fragen: Was hast du bereist,
was hast du dir leisten können?
Seine Frage wird lauten:
Was hast du gewagt, wen hast du befreit,
um meinetwillen?
Provozierend dieses Gleichnis Jesu. Danach wird der König auch nicht fragen: Warst du rechtgläubig? Hast du alle Dogmen deiner Kirche geglaubt und verteidigt?
Er wird nicht fragen: Hast Du regelmäßig gebetet? Bist du Sonntag für Sonntag in die Kirche gegangen? Nein! Nach diesem Gleichnis wird das einzige, was zählt, sein: Menschlichkeit ohne Hintergedanke und ohne Berechnung. Das ausschlaggebende Resümee über ein menschliches Leben wird lauten: Bist du dem Menschen ein Mensch gewesen, bist du menschlich gewesen?

Liebe Leser,
Erst gestern las ich von einem polnischen Juden, der in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in die Schweiz emigrierte. Als er sich dort einbürgerte nahm er einen neuen Namen an. Er wählte den Namen „Mensch“, um dadurch zu zeigen, was er gern in seiner neuen Heimat sein möchte: Den Menschen ein „Mensch“. Mit diesem Lebensprogramm wurde er ein bekannter Arzt am Luganer See.


Pfarrer Stefan Mai

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