„Der Tod ist möglicherweise die beste Erfindung des Lebens“

Predigt zum Allerseelentag 2011

Am 5. Oktober 2011 starb Steve Jobs an den Folgen seiner Krebserkrankung. Für alle Computerbenutzer ist Steve Jobs ein Begriff: Mitbegründer des legendären Apple-Computers, der Visionär, unter dessen Regie iPhone, iPod und iPad entwickelt wurden. Die Startseite der Apple-Homepage zeigt an seinem Todestag ein großes Bild von Steve Jobs. Dazu seine Lebensdaten: 1955 und 2011. Sonst nichts. Steve Jobs schaut den Betrachter von dem Schwarzweißbild nachdenklich an. Er trägt den für ihn typischen schwarzen Rollkragenpullover. Steve Jobs war Anhänger der buddhistischen Lehre. Aber heute am Allerseelentag möchte ich mich als Christ auch einmal von ihm mit seinem stechenden Blick anschauen lassen und mir Worte von ihm durch den Kopf und zu Herzen gehen lassen.
An der Universität von Stanford in Kalifornien hielt Steve Jobs im Jahr 2005 vor Absolventen eine denkwürdige Rede. Seine Worte beschreiben das, was ihn antreibt, bewegt, und das, was er fühlt.
Steve Jobs begann seine Rede:

„Ich fühle mich geehrt, heute mit euch hier zu sein, bei eurer Abschlussfeier an einer der besten Universitäten, die es auf der Welt gibt. Ich habe nie eine Hochschule abgeschlossen. Um die Wahrheit zu sagen, jetzt gerade bin ich einem Hochschulabschluss am nahsten.“

Welchen Hochschulabschluss er damit meinte, wurde im Lauf seiner Rede deutlich: nämlich das Sterben. Er wusste um seinen Bauchspeicheldrüsenkrebs. Doch er beschäftigte sich schon viel früher mit dem Thema Sterben. Originalton Steve Jaobs:

Als ich 17 war, las ich ein Zitat das ungefähr so klang:
„Wenn du jeden Tag so lebst, als wäre es dein letzter, wird es höchstwahrscheinlich irgendwann richtig sein.“
Es hatte mich beeindruckt und seit damals über 33 Jahre habe ich jeden Morgen in den Spiegel geschaut und mich selbst gefragt: „Wenn heute der letzte Tag in meinem Leben wäre, würde ich das tun, was ich mir heute vorgenommen habe zu tun?“ Und jedes Mal wenn die Antwort „nein“ war für mehrere Tage hintereinander, wusste ich, ich muss etwas verändern.
Mich zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, war für mich das wichtigste Werkzeug, das mir geholfen hat, alle diese großen Entscheidungen zu treffen.
Weil fast alles – alle äußeren Erwartungen, der ganze Stolz, die ganze Angst vor dem Versagen und der Scham – diese Dinge fallen einfach weg angesichts des Todes und es bleibt nur mehr das, was wirklich wichtig ist. Sich zu erinnern, dass man sterben wird, ist der beste Weg, den ich kenne, um der Falle zu entgehen und zu glauben, man hätte etwas zu verlieren. Du bist vollkommen nackt. Es gibt keinen Grund, um nicht seinem Herzen zu folgen.
Niemand will sterben. Nicht mal Menschen, die in den Himmel kommen wollen, wollen sterben, um dorthin zu gelangen. Und dennoch ist der Tod das Schicksal, das wir alle teilen. Niemand ist jemals entkommen.
Und das ist so, wie es sein sollte, weil der Tod möglicherweise die beste Erfindung des Lebens ist. Es ist der Vertreter des Lebens für die Veränderung. Es räumt das Alte weg, um Platz zu machen für das Neue.
Gerade jetzt seid das Neue ihr, aber eines Tages, nicht sehr viel später, werdet ihr langsam zum Alten gehören und weggeräumt werden. Tut mir leid, dass ich so dramatisch bin. Aber es ist die Wahrheit.


Soweit Steve Jobs. Der Tod möglicherweise die beste Erfindung des Lebens?, der Vertreter des Lebens für die Veränderung?, ein nützliches geistiges Konzept?
Liebe Leser, unsere Kirche möchte uns jedes Jahr mit dem Aschermittwochritus „Gedenke Mensch, dass du Staub bist!“ und mit dem Gang an die Gräber am Allerheiligen- und Allerseelentag mit dem Gedanken an den Tod konfrontieren. Aus dem Erfahrungswissen von Jahrhunderten weiß sie, wie es Steve Jobs formuliert hat: „Wenn du jeden Tag so lebst, als wäre es dein letzter, wird es höchstwahrscheinlich irgendwann richtig sein.“


Pfarrer Stefan Mai

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