Die Würde, Christ zu sein

Gedanken zum Reformationsfest 2011 in Gerolzhofen

Von Ludwig IX., König von Frankreich, geboren 1214 und gestorben 1270, auch Ludwig der Heilige oder der Fromme genannt, wird erzählt:
Auf offiziellen Schreiben unterschrieb er immer mit „Ludwig von Poissy“ und nicht mit „Ludwig, König von Frankreich“. Am Hofe wunderten sich alle darüber und fragten ihn nach dem Grund. Poissy war doch nur ein Dorf mit einer Burg, westlich von Paris. Ludwig soll darauf geantwortet haben: „In Poissy wurde ich getauft. Und es ist mir eine viel größere Würde, Christ zu sein als König von Frankreich.“

Taufe schafft ein neues Bezugssystem. Durch sie kommt jeden Menschen die gleiche Würde zu. Sie schafft egalitäre Strukturen. Sie befreit von allen Wertclustern, die Menschen aufgebaut haben und schafft die Schubladen ab, in die Menschen so gern andere Menschen stecken. Da zählt nicht mehr, wie Gal 3,28 in programmatische Worte bringt, ob einer Jude oder Grieche ist, Sklave oder Freier, Mann oder Frau. Da zählt nicht mehr, ob einer König oder Bettler ist, reich oder arm, intelligent oder einfältig. Da zählt nur eines, dass Menschen durch den Glauben an Jesus zu einem neuen Beziehungssystem gehören. Da werden gesellschaftlich etablierte Barrieren aus den Angeln gehoben. Da werden Grenzen durchlässig, da werden Über- und Unterordnung aufgelöst. Ob wir das in unseren Kirchen in seiner Sprengkraft jemals begriffen haben?

Menschen sind sehr sensibel, ob unsere Theorien und unsere wortreiche gelehrte Theologie über die Würde eines Getauften, über Freiheit und Rechtfertigung mit unserer gelebten Glaubenspraxis übereinstimmen. Sie sind sehr sensibel dafür, ob die Tinte auf den TaufUrkunden unseres Glaubens auch das Wasser des alltäglichen Lebens färbt.
Nur in Klammern: Theologen wissen: Das griechische Wort für taufen, „baptizein“ kommt aus der Färbersprache.

Ja, die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, ob wir die gleiche Würde eines jeden Getauften vor Gott ernst nehmen oder ob wir doch nur wieder alle gesellschaftlichen Über- und Unterordnungen, Abgrenzungen und Ausgrenzungen mitmachen,
ob in unseren Gemeinden auf Augenhöhe miteinander umgegangen wird und von der Achtung vor einem jeden Menschen und von der Achtsamkeit ihm gegenüber etwas zu spüren ist - oder ob es in unseren Kirchen genauso zugeht wie überall sonst auch.

„Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“, schreibt Paulus.
„Es ist mir eine viel größere Würde, Christ zu sein als König von Frankreich,“ antwortete Ludwig der IX.
Ich erzähle Ihnen vom Deutschhof in Schweinfurt, wo ich 15 Jahre lang Pfarrer war:
Nach dem Gottesdienst kam zu mir ein Mann und meinte:
„Wissen Sie, warum ich hier so gerne die Gottesdienste mitfeiere?
Gut, mir gefällt der lichtdurchflutete moderne Kirchenraum, Ihre Predigten sprechen mich an. Aber der eigentliche Grund ist: Wenn wir hier Gottesdienst feiern, dann wird mir jedes Mal bewusst:
Hier hat jeder und jede vor Gott die gleiche Würde.
Da steht der vielbeschäftigte Manager aus der Schweinfurter Großindustrie neben dem russlanddeutschen Jugendlichen, der zum x-ten Mal durch eine Qualifizierungsmaßnahme geschleust wird und doch keine feste Arbeit findet.
Da sehe ich die modisch gekleidete junge Frau und ein paar Reihen vor ihr das alte russische Mütterchen mit dem Kopftuch.
Da quakt ein kleines Kind und da schaut eine Jugendliche gelangweilt auf die Uhr.
Da sehe ich meinen Nachbarn, mit dem ich ein gutes Verhältnis habe und mich trifft der scheue Blick eines Arbeitskollegen, der sich mit mir schwer tut.
Und ich sage mir jedes Mal: Hier ist ein Ort, an dem alle vor Ihm die gleiche Würde haben.

Wort zur Tauferinnerung

„Babtizatus sum!“ Ich bin getauft.
Diese zwei lateinischen Worte soll Martin Luther nach dem Wormser Reichstag groß mit Kreide auf seinen Arbeitstisch geschrieben haben. In trüben Stunden, in denen er zur Schwermut neigte und Zweifel an der Barmherzigkeit Gottes hatte, soll er sich diese zwei Worte „baptizatus sum“ immer wieder als Mut machende Worte vorgesprochen haben.
Die Taufererinnerung, ein Lebenselexier für den Reformator.

Wir laden Sie nun ein, in 2-er Reihen durch den Mittelgang nach vorn zu kommen an die Taufschale der Erlöserkirche, in die Taufschale zu blicken oder sich auch mit dem Wasser ein Kreuzzeichen auf die Stirn zu zeichnen.
Ich bin getauft - eine Erinnerung an die Würde, die ich vor Gott genauso wie der neben, vor oder hinter mir habe.
Eine Erinnerung: Durch die Taufe gehören wir alle über Standes- und Konfessionsgrenzen hinweg zum gekreuzigten und auferstandenen Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de