Aus Fehlern anderer lernen

Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis (Mt 23,1-12)

Einleitung

Kritik an Autoritäten ist "in". Wenn Politiker, kirchliche Autoritäten, führende Frauen und Männer der Öffentlichkeit sich einen Fehltritt erlauben, dann sind die Medien sofort zur Stelle und gehen der Sache bis ins Letzte nach. Im Volk gibt es zwei Lieblingsreaktionen darauf. Wie schnell wird dann der Stab über dieser Person gebrochen. Das Vertrauen wird sofort entzogen. Oder es wird schnell gefolgert: Wenn die sich das erlauben, dann darf ich's auch so machen.
Im heutigen Evangelium geht es auch um die Auseinandersetzung mit Fehlverhalten von Autoritäten. Allerdings ist die Reaktion Jesu anders.

Predigt

Das Sprichwort sagt: "Aus Schaden wird man klug." Wenn ich am eigenen Leib gespürt habe: Mein Verhalten hat sich letzten Endes als Nachteil für mich herausgestellt, dann werde ich das nächste Mal sensibler sein, und ich werde versuchen, meine Reaktion zu verändern. Selbst Fehler machen, aus den eigenen Fehlern lernen, das bringt sicher mehr, als ständig von anderen gesagt zu bekommen: „Mach das nicht! Lass da die Finger davon!“ Einem kleinen Kind sagt man tausendmal: „Lang ja nicht auf die Herdplatte. Die ist heiß!“ Aber das weiß jede Mutter: Erst wenn sich das Kind den Finger verbrannt hat, wird es selbst achtgeben. Dann ist es um eine Erfahrung reicher. Oder wie es der bekannte Schriftsteller Oscar Wilde formuliert hat: "Erfahrung, das ist der Name, den wir den Fehlern geben, die wir gemacht haben."

Allerdings ist es gar nicht so leicht, aus den eigenen Fehlern zu lernen. Denn wenn es nicht gerade die Herdplatte ist, an der man sich die Finger verbrannt hat, gehört Feingefühl und Sensibilität dazu, die eigenen Fehler überhaupt zu bemerken. Und es braucht dazu Mut zur Selbstkritik: sich die eigenen Fehler einzugestehen. Und es gehört ein ganzes Stück Entschlossenheit dazu, sie dann auch anzupacken.
Viel leichter ist es dagegen, die Fehler der anderen zu sehen. Und deswegen machen wir dieses Spielchen auch so gern: die Fehler der anderen zu suchen, sie aufs Korn zu nehmen, über sie zu reden. Und häufig wird dieses Spielchen dafür benützt, beim Herziehen über die Fehler der anderen von den eigenen Fehlern abzulenken.
In dieser Hinsicht war Jesus ein kluger Mann. Er setzt dort an, wo's uns allen Spaß macht und wo am liebsten alle mitmachen: Detektiv spielen und die Fehler der anderen aufs Korn nehmen. Seine Zielscheibe im heutigen Evangelium sind die Schriftgelehrten und Pharisäer. Und sie bekommen ganz schön ihr Fett ab: Sie sind eingebildet, sagt Jesus, richtig fromme Schauspieler, skrupellose Egoisten, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Sie stellen große Forderungen an die anderen, halten sich selbst aber keinen Deut daran.
Und Jesus schildert ihre Fehler in drastischen Worten. Aber das Faszinierende an Jesus ist: Er zählt die Fehler nicht auf, um andere bloßzustellen und sie in den Dreck zu ziehen, sondern um aus ihren Fehlern zu lernen. Man kann nicht nur aus den eigenen Fehlern lernen. Das ist immer schwer. Man kann auch aus den Fehlern der anderen lernen. Und das ist wesentlich leichter.
Aus fremden Fehlern lernen:
"Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder!" (Mt 23,8). Jesus bläut den Seinen ein: Was euch an anderen ärgert, das könnt ihr nicht ändern. Aber eines könnt ihr: selbst nicht so mit anderen umgehen. Die Verhaltensmuster, die euch aufstoßen, nicht selbst übernehmen.
Liebe Leser, jeder Mensch macht Fehler. Jeder Mensch hat Verhaltensweisen an sich, die andere behindern oder verletzen und die deshalb kritisiert werden müssen. Das Kluge an Jesus ist: Er weiß, Kritik macht Spaß. Aber er sagt: Bleib nicht bei der Kritik stehen, sondern mach' was draus! Lerne aus den Fehlern der anderen!

Fürbitten

Wir schauen auf uns selbst und auf die Menschen, mit denen wir zusammenleben, die uns vorgesetzt sind, mit denen wir arbeiten und die wir kennen. Wir rufen zu dir:

V: Von aller Kritiksucht. A: Erlöse uns, o Herr!
Von aller Blindheit für die eigenen Schwächen ...
Von zu schneller Verurteilung anderer ...
Von Selbstgerechtigkeit ...
Von aller Schlechtmacherei ...
Von aller falscher Rechtfertigung ...
Von aller Feigheit, Fehler beim Namen zu nennen ...
Von aller Beschönigung von Fehlverhalten ...
Von allen Ablenkungsmanövern ...
Von Schmeichelei und Schöntuerei ...
Vom Auseinanderklaffen von Wort und Tat ...


Pfarrer Stefan Mai

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