Anstatt Stopp-Schilder ein Vorfahrts-Schild

Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis (Mt 22,34-40)

Das 22. Kapitel im Matthäusevangelium ist ein interessantes Kapitel. Da treten die Gegner Jesu der Reihe nach auf den Plan und wollen ihn durch Fragen in die Zwickmühle nehmen und fertig machen. Am letzten Sonntag haben wir gehört, da kamen die Herodianer, die romfreundliche Partei, und wollten ihn mit der Frage: „Ist es erlaubt dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht?“ in die Enge treiben. Und Jesus zieht sich mit seiner knalligen Antwort: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott was Gott gehört!“ aus der Zwickmühle.

Danach kommen die Sadduzäer mit ihrem Spezialgebiet zu Jesus. Sie halten nichts von einem Auferstehungsglauben und wollen Jesus mit dem konstruierten Beispiel, wie einem Mann sieben Frauen wegsterben und ihrer süffisanten Frage: „Na, welche der sieben gehört denn nach der Auferstehung dann dem Mann?“ lächerlich machen. Wiederum nimmt Jesus mit einem Satz den Gegnern den Wind aus den Segeln: Ihr habt eine falsche Jenseitsvorstellung. Im Himmel, da wird nicht mehr geheiratet!

Und heute heißt es im Evangelium: „Als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie bei ihm zusammen.“ Auch sie kommen mit ihrem Spezialgebiet. Da fühlen sie sich unschlagbar, in der Gesetzesauslegung. Mit 613 Geboten und Verboten haben sie, wie sie es nennen, einen „Zaun um das Gesetz“ gelegt. Klare Entscheidungskriterien wollten sie damit dem Volk an die Hand geben. Sie wollen Jesus mit der Frage testen: „Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“ Und wiederum gibt Jesus eine Antwort, die sie nicht erwartet haben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“

Spüren Sie hinter dieser Antwort Jesu die eigentliche Stoßrichtung?

So wie die Pharisäer nähern sich viele Menschen der Religion und der Kirche. Sie sehen in ihr einen Ort, der klipp und klar Grenzen aufzeigt, der eindeutig sagt: „Das ist erlaubt und das ist verboten!“ Kein Wunder, dass ein Kritiker deswegen einmal sehr bissig sagte: „Religion ist das, was man nicht tun darf, was eigentlich Spaß macht.“ Aus diesem Denken bricht Jesus mit seiner Antwort aus. Er will keine roten Stoppschilder aufbauen, sondern ein Vorfahrtsschild zu einem gelingenden und verantwortungsbewussten Handeln. Er will weg von einer erhobenen Zeigefinger-Mentalität „Das darfst du und das darfst du nicht!“ Jesus will aufzeigen: Religion ist weit mehr als sich hinter Vorschriften verstecken. Er will einen Horizont aufzeichnen, unter dem ein Mensch sich ständig neu und verantwortlich zu entscheiden hat. Und dieser Horizont ist eine bejahende Lebenseinstellung zu Gott, zum Mitmenschen und zu sich selbst. Und dies verlangt einen weitaus reiferen Menschen als den, der nur ängstlich auf Verbote schielt.

Wie konkret ein Leben im Horizont der Gottes-, der Nächsten- und Eigenliebe konkret ausschauen kann, das hat für mich Aurelius Augustinus einmal meisterhaft in die Worte gebracht:

Ein für allemal soll dir dies den Weg weisen:
Liebe - und dann tu, was du willst.
Wenn du schweigst, schweige aus Liebe.
Wenn du sprichst, sprich aus Liebe.
Wenn du ermahnst, mahne aus Liebe.
Wenn du verzeihst, verzeihe aus Liebe.
In der Tiefe deines Herzens
trage die Wurzel der Liebe.
Aus dieser Wurzel kann nur Gutes hervorgehen.


Pfarrer Stefan Mai

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