Das „Salve Regina“

Musikalische Andacht in der Johannes-Kapelle

Gl 573 Gegrüßet seist du, Königin

Unser bekanntes Lied „Gegrüßet seist du Königin“ ist eine Übersetzung des alten gregorianischen Marienhymnus „Salve Regina“. Der lateinische Text des „Salve Regina“ ist bereits 1000 Jahre alt. In immer neuen Melodien wurde in der Frömmigkeitsgeschichte dieser alte Text musikalisch eingekleidet, von großen Komponisten und einfachen Volksweisen. In dieser musikalischen Oktoberandacht wollen wir diesem alten Text einmal auf die Spur gehen. Texte und Lieder fallen nicht einfach vom Himmel. Sie haben oft mit den Menschen zu tun, denen wir sie verdanken, mit ihrem Leben, ihrem Glauben, ihrem Leid und ihrer Hoffnung. Ich denke, das wird uns in dieser Stunde wieder einmal bewusst werden.

GL 572 Maria Königin

Die alten Römer kannten das Wort: „Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano." - „Man muß beten, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei."
Die moderne Sportbewegung hat dieses Wort für sich in Anspruch genommen - „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper" -, hat dabei freilich das „Man muß darum beten, daß es so sei" unter den Tisch fallen lassen. Und auch noch ein anderes wurde übersehen: Dass geistige Leistungen nur auf der Grundlage eines gesunden Körpers möglich seien, ist von der Geschichte mehr als einmal berichtigt worden.

Etwa nach dem Jahr 1000 hat es einen lahmen Menschen gegeben, einen Mann, der seine Glieder von Kind auf nicht gebrauchen konnte und der doch, wie man ihn nannte, das „Wunder seines Jahrhunderts" wurde. Später freilich ist er wieder vergessen worden. Es ist der Mönch Hermann der Lahme.
Er stammte aus einem Adelsgeschlecht und wurde von seinen Eltern mit sieben Jahren dem Kloster Reichenau zur Erziehung übergeben. Dort lernte er den Gottesdienst und den feierlichen Chorgesang lieben; aber er konnte nicht Priester werden, denn er war, wie sein Biograph Berthold berichtet, „so sehr gelähmt, dass er sich von der Stelle, wo man ihn hingelegt, ohne fremde Hilfe weder fortzubewegen noch auch nur auf die andere Seite zu wenden vermochte und nur in einer Art Tragsessel, auf welchen ihn sein Diener niedergelassen hatte, mühsam und gekrümmt sitzen konnte. Überdies war er durch die Grausamkeit der Natur auch an Mund, Zunge und Lippen gelähmt, so dass er nur gebrochene und kaum verständliche Laute hervorbringen konnte; ebenso konnte er mit seinen gleichfalls gelähmten Fingern nur mühsam schreiben".

Aber in diesem äußerlich verkrüppelten Menschen lebte ein wacher Verstand und ein warmes Herz. Abt Berno von der Reichenau hatte das erkannt, sonst hätte er den Dreißigjährigen nicht als Mönch ins Kloster aufgenommen. Hermann wurde ein gefeierter Lehrer und der größte Schriftsteller der Reichenau. Zu Hunderten saßen junge Menschen zu Füßen des Lahmen, dem der Unterricht freilich oft eine furchtbare Qual war. Er schreibt eine Weltchronik, schreibt ein Buch über die Tonkunst - er war ein großer Liebhaber der Musik -, er schreibt über die Regeln der Rechenkunst, berechnete Mondfinsternisse auf die Stunde genau voraus. Trotz seines Leidens war er immer freundlich und heiter; er klagte nie. Er war voll Dankbarkeit gegen alle, die ihm im Leben halfen. Mit 42 Jahren starb er an Lungenentzündung. Dieser Hermann der Lahme wurde zum Autor und Komponisten des Salve Regina.

Gl 901 Sei Mutter der Barmherzigkeit

Die Legende über die die Entstehung des Liedes Salve Regina erzählt (frei ausgefaltet nach dem Roman Maria Calasanz Ziesche, „Die letzte Freiheit“):

Spät am Abend besucht Abt Berno vom Kloster Reichenau noch einmal den gelähmten Hermann auf seiner Zelle. Sie sprechen eine Zeit lang miteinander. Als der Abt gehen will, meint der lahme Hermann: „Darf ich euch dieses Lied geben, Vater Abt? Es wurde mir in der vergangene Nacht geschenkt!“ „Das Lied der vergangenen Nacht? Dann werde ich es mit besonderer Aufmerksamkeit in mich aufnehmen, Hermann!“ Mit äußerster Anstrengung gibt Hermann mit seinen krummen Glieder ihm ein Wachstäfelchen, auf dem Noten und Buchstaben zu sehen sind.
Mit der Wachstafel in der Hand begibt sich der Abt über die dunklen Flure des Klosters langsam zu seiner Wohnung. Er zündet eine Kerze an und beugt sich über die kleine Wachstafel! Wie haben sich die gelähmten Finger da wieder plagen müssen, denkt sich Abt Berno. Jedem Strichlein merkt er das an. Wie oft hat Hermann die Schrift wohl ausgelöscht und deutlicher zu schreiben versucht?
Je mehr der Abt von dem Lied, den lateinischen Worten und der Melodie, enträtselt, um so tiefer beeindrucken ihn die Schlichtheit, Herbheit und Innigkeit dieses Gebetes zur Gottesmutter. Er spürt: Dieses Lied stieg aus der Seele eines Ringenden auf, dem im Beten Hoffnung und Trost geschenkt wird.
Sogleich beginnt er mit der Abschrift. Seine Müdigkeit ist wie vergessen. Während er sorgsam das Lied auf ein feines Pergament mit seiner schönen Schrift überträgt, summt er leise die Töne vor sich hin......

- Herr Sauer summt etwas stockend nacheinander die Melodie -

Dann steht er auf, das Pergament in der Hand und beginnt zu singen. Zuerst zaghaft: Salve Regina

- Herr Sauer singt das Salve Regina leise beginnend bis „in hac lacrimarum valle“ -

Ein alter Bruder huscht gerade durch den dämmrigen Kreuzgang. Aus dem Zimmer des Abtes ertönt Gesang. Er lauscht. Die Melodie geht ihm zu Herzen. Beifällig nickt der greise Mönch. Immer lauter und sicherer singt der Abt:

- Herr Sauer singt das Salve Regina zu Ende -

Inzwischen haben auch andere Mönche auf ihren Zellen die Melodie gehört und kommen vor der Zelle des Abtes zusammen. Abt Berno bemerkt den nächtlichen Auflauf. Er öffnet die Zellentür und lädt daraufhin seine Mönche ein, in die Klosterkirche vor das Bild der Gottesmutter zu kommen. Milde lächelt sie im Schimmer des Öllichts herab und die Mönche singen:

- Männerschola singt gemeinsam „Salve Regina“ -

Bald vernimmt man dieses Lied in Reichenau wieder und wieder. Der Chormeister übt es mit seinen Sängern für den Jahrestag der Priesterweihe des Abtes ein. Die anwesenden Gäste sind begeistert von diesem Lied. Sie erbitten und erhalten vor ihrer Heimreise Abschriften des Liedes zur Mutter der Barmherzigkeit.

Der Dichter und Komponist des Liedes Hermann der Lahme wird gebeten, eine Widmung oder wenigstens den Namenszug darunter zu setzen. „Warum? Geht es um mich?“, fragt Hermann. „Die Ehre Mariens soll befördert werden. Nicht mein Ruhm. Wenn sie an vielen Orten das Salve singen, bin ich reich belohnt. Unser Geben ist nur solange echt, wie es nicht nach persönlicher Anerkennung Ausschau hält.“

- Orgelimprovisation zu Salve Regina -

Diese Entstehungslegende im Hinterkopf erfassen wir wahrscheinlich die Tiefe des Textes leichter. Ein gehandicapter Mensch betet aus dem Tal der Tränen heraus, sucht Trost bei einer Mutter der Barmherzigkeit. Hofft, dass sie mit barmherzigen Augen auf ihn herabblickt und bittet um eines: Dass ihm nach einem schweren Los und Leben, nach diesem Elend, wie er schreibt, Jesus gezeigt wird. Das Salve Regina ist das Lebenszeugnis eines leidvollen Lebens. „Wer nicht gelitten hat, was weiß der!“, schrieb einmal der mittelalterliche Mystiker Heinrich Seuse.

Wir beten gemeinsam das Salve Regina Nr. 571

Zu den besonderen Zeiten im Kirchenjahr wird das Salve Regina nach der Vesper oder Komplet durch andere marianische Antiphonen ersetzt. In der Advents- und Weihnachtszeit wird das Alma redemptoris mater gesungen. Es soll ebenfalls von Hermann dem Lahmen stammen. Zu deutsch heißt es:

976/1 in deutsch vorlesen

Schola singt 976/1 lateinisch

In der Fastenzeit erklingt das Ave regina caelorum

976/2 in deutsch vorlesen

Schola singt 976/2

Und in der Osterzeit erklingt das freudige „Regina coeli, laetare..

574 in deutsch vorlesen

Schola singt 574 lateinisch


Das Gebet des Papstes an der Mariensäule

Heilige Mutter des Herrn,
unsere Vorfahren haben in bedrängter Zeit dein Bild hier im Herzen der Stadt aufgestellt, um dir Stadt und Land anzuvertrauen.
Dir wollten sie auf den Wegen des Alltags immer wieder begegnen und von dir das rechte Menschsein lernen; von dir lernen, wie wir Gott finden und wie wir so zueinander kommen können.
Sie haben dir Krone und Zepter, die damaligen Symbole der Herrschaft über das Land gegeben, weil sie wußten, daß dann die Macht und die Herrschaft in den rechten Händen sind – in den Händen der Mutter.
Dein Sohn hat seinen Jüngern kurz vor der Stunde des Abschieds gesagt: Wer unter euch groß sein will, der sei euer Bedienter, und wer unter euch der erste sein möchte, der sei aller Knecht (Mk 10, 43f).
Du hast in der entscheidenden Stunde deines Lebens gesagt: Siehe, ich bin die Magd des Herrn (Lk 1, 38) und hast dein ganzes Leben als Dienst gelebt.
Du tust es weiter die Jahrhunderte der Geschichte hindurch: Wie du einst für die Brautleute in Kana leise und diskret eingetreten bist, so tust du es immer: Alle Sorgen der Menschen nimmst du auf dich und trägst sie vor den Herrn, vor deinen Sohn. Deine Macht ist die Güte. Deine Macht ist das Dienen.
Lehre uns, die Großen und die Kleinen, die Herrschenden und die Dienenden, auf solche Weise unsere Verantwortung zu leben.
Hilf uns, die Kraft des Versöhnens und das Vergeben zu finden.
Hilf uns, geduldig und demütig zu werden, aber auch frei und mutig, wie du es in der Stunde des Kreuzes gewesen bist. Du trägst Jesus auf deinen Armen, das segnende Kind, das doch der Herr der Welt ist.
So bist du, den Segnenden tragend, selbst zum Segen geworden. Segne uns und diese Stadt und dieses Land. Zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes. Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.

Segen

Gl 570 gemeinsam singen






Pfarrer Stefan Mai

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