Heulen und Zähneknirschen

„Ich kann das nicht mehr aushalten“, meinte die Frau, „früher hat mein Mann nur geschnarcht. Aber jetzt knirscht er auch noch mit den Zähnen. Das geht durch Mark und Bein. Der Zahnarzt hat ihm jetzt für die Nacht eine Zahnschiene verschrieben. Seitdem höre ich dieses grausame Geräusch wenigstens nicht mehr so stark. Aber ich fürchte, dieses Zähneknirschen ist ein Zeichen dafür, dass er vieles zu verarbeiten hat, dass vieles wie unter dem Deckel kocht und im Unterbewusstsein weiterschafft.“

Heulen und Zähneknirschen - ein Lieblingsausdruck des Evangelisten Matthäus

Vom „Zähneknirschen“ ist in der Bibel häufig die Rede. Und diese Zähneknirsch-Stellen sind auch schwer auszuhalten. Das Matthäus-Evangelium macht von der Drohung mit „Heulen und Zähneknirschen“ am meisten Gebrauch. Immer, wenn es um das Thema Endgericht geht, kommt diese Formulierung. So muss z. B. der Mann, dem das eine Talent zum Wirtschaften anvertraut wurde, es aber aus Angst vor seinen Möglichkeiten vergräbt, ein scharfes Urteil hören:
„Den unnützen Knecht werft in die Finsternis draußen; da wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ (Mt 25,30)
Auch im heutigen Gleichnis vom Hochzeitsmahl steht diese Drohung mit dem „Heulen und Zähneknirschen“ wie ein Hammer am Ende. Und dabei begann alles so gut:

In jener Zeit erzählte Jesus den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes das folgende Gleichnis:
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete.
Er schickte seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu lassen. Sie aber wollten nicht kommen.
Da schickte er noch einmal Diener und trug ihnen auf: Sagt den Eingeladenen: Mein Mahl ist fertig, die Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit!
Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden,
wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um.
Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen.
Dann sagte er zu seinen Dienern: Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die Gäste waren es nicht wert, eingeladen zu werden.
Geht also hinaus auf die Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein.
Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.
Als sie sich gesetzt hatten und der König eintrat, um sich die Gäste anzusehen, bemerkte er unter ihnen einen Mann, der kein Hochzeitsgewand anhatte.
Er sagte zu ihm: Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen? Darauf wusste der Mann nichts zu sagen.
Da befahl der König seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße, und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen.“ (Mt 22,1-14)

Das Gleichnis vom Hochzeitsmahl - ein „schrecklich Evangelium?“

Martin Luther hat über das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl nicht gerne gepredigt. Er nennt es ein „schrecklich Evangelium“. Er meint, dieser zürnende Gott kann doch nicht der Vater Jesu sein.

Ein schrecklich Evangelium! Aus dem geplanten großen Festmahl ist eine mörderische Geschichte geworden. Da werden Diener umgebracht, die die Einladung zur Hochzeit überbringen, ja wegen eines Essens wird sogar Krieg geführt und eine Stadt zerstört.
Die Erklärungen der Exegeten helfen mir zwar, dieses Gleichnis, das Matthäus entscheidend geformt hat, besser zu verstehen. Sie sagen: Mit der ersten Gruppe der einladenden Knechte meint Matthäus die Propheten, die das Volk Israel zum Glauben zurückführen wollen. Allerdings ohne Erfolg. Und ebenso ergeht es der zweiten Gruppe . Dabei spielt Matthäus auf die Jünger Jesu an, die die Botschaft vom Reich Gottes verkünden, aber ebenfalls kein Gehör finden, ja sogar umgebracht werden. Und er lässt mit der Zerstörung der Stadt die Zerstörung Jerusalems und des Tempels anklingen und deutet diese Katastrophe als Strafe Gottes für den Unglauben Israels. Und die Gäste, die dann von den Straßen geholt werden und den Festsaal füllen, erklären sie, sind die Heiden, die den christlichen Glauben annehmen.
Das alles kann ich noch verstehen, aber was soll denn dieses Ende? Das hinterlässt bei mir einen besonders bitteren Geschmack. Erst geben alle eingeladenen Gäste dem König einen Korb. Er lädt daraufhin Hinz und Kunz ein bis endlich sein Saal voll ist. Und dann diese unverständliche Szene. Der König geht durch die Reihen der Gäste hindurch und fischt sich so einen armen Sack heraus. Er spricht ihn auf seine Kleidung an. Von Einlassbedingungen war bisher nicht die Rede. Und jetzt ist das fehlende Festgewand plötzlich ein Grund, den Gast bloßzustellen und ihn vor die Tür zu setzen: „Bindet ihm Hände und Füße, und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen.“
Mit so einem launischen Gott komme ich einfach schwer zurecht. Lockt er mich an und lässt mich dann fallen? Dieses Hinauswerfen des einen Mannes in die Finsternis. Da wird doch nur noch mit der Hölle gedroht, mit Heulen und Zähneknirschen! Da kommen die Höllenbilder wieder hoch, die Generationen nicht aus ihren Köpfen gebracht haben. Die Bilder von schrecklichen Qualen und Gestalten, die lodernden Feuer und tiefste Finsternis. Bilder, die das Fürchten lehren.

Die Bedeutung des biblischen Bildwortes

Schauen wir aber das Bildwort vom „Heulen und Zähneknirschen“ nochmals genauer an:
Das Gleichnis nennt als Grund für den Rausschmiss das fehlende Festgewand. Wir wissen: Beim antiken Hochzeitsmahl musste man nicht mit einem besonderen Festgewand erscheinen. Aber es gehörte zum Ehrenkodex, mit einem sauberen Gewand den Festsaal zu betreten. Man musste sich für die Hochzeit vorbereiten, indem man sein Gewand wusch. Auch heutige Hotels wissen: die Atmosphäre am Abend in einem Festsaal wird stark dadurch geprägt wird, in welcher Kleidung die Gäste erscheinen. Und sie bitten deswegen schon auf dem Informationsblatt auf den Zimmern oder am Eingang in den Speisesaal, in angemessener Kleidung und nicht in Badelatschen und Bermudashorts zum Dinner zu kommen.

In der Antike war es jedem klar: Wenn ich die Einladung annehme, dann gehört zu meinem Erscheinen ein frisch gewaschenes Gewand. Diesen Ehrenkodex hat der Mann, den der König auf sein Gewand anspricht, verletzt. Er hat ein dreckiges Gewand an. Und als er darauf angesprochen wird: „Mein Freund, wie konntest du hier ohne Festgewand erscheinen?“, kann er nichts darauf erwidern. Das ist wie ein Schuldeingeständnis: „Es stimmt, was du sagst. Ich wollte einfach auf deine Kosten feiern, einfach mitlaufen, aber keinerlei Beitrag für das Gelingen des Festes leisten.“ Deswegen wird er vom Fest ausgeschlossen und hinausgeworfen. Hinaus aus dem lichten Festsaal, wo die Lampen brennen und das Leben pulsiert, hinaus in die Finsternis. Und dort heißt es, ist es zum „Heulen und Zähneknirschen.“
Dieses Sprachbild „Heulen und Zähneknirschen“ verstanden die Menschen damals ohne weitere Erklärung. Ihnen war bewusst: Da wird keine Hölle ausgemalt, da wird keiner von anderen bestraft oder gequält. Nein, da heult ein Mensch über eine verpasste Lebenschance, da knirscht einer mit den Zähnen, weil er über sich selbst enttäuscht ist und auf sich selbst wütend ist, weil er die Möglichkeiten und Chancen des Lebens nicht wirklich genutzt hat.

Angesprochen waren mit diesem hinausgeworfenen Gast des Gleichnisses vor allem die neuen Gemeindemitglieder, die aus dem heidenchristlichen Milieu stammten, die also von den „Hecken und Zäunen“ gerufen wurden. Ihnen wird durch dieses Gleichnis bewusst gemacht: Dass du freundlich eingeladen wirst, dass du aufgenommen wirst, das heißt noch lange nicht, dass du auch automatisch vor Gott bestehen kannst. Auch von dir wird ein Festgewand erwartet, auch von dir wird ein Lebensstil erwartet, mit dem sich eine christliche Gemeinde sehen lassen kann. Auch von dir wird erwartet, dass du etwas zur Atmosphäre und zum Gelingen des Festes beiträgst.

Ganz nah am Leben

Auf diesem Hintergrund betrachtet stelle ich die Frage: Ist dieses Gleichnis wirklich „ein schrecklich Evangelium“? Ist es nicht ganz nah am Leben?
Ich glaube, die Mehrzahl der Menschen möchte im Leben nicht alles nachgeworfen bekommen, ohne sich selbst darum zu bemühen. Sie möchte nicht alles geschenkt bekommen, ohne selbst einen Beitrag zum Wohl von anderen zu leisten. Ein Mensch, dessen Kindheit verkorkst war oder dessen Lebensgeschichte schwer war, würde darunter leiden, wenn man von ihm nichts mehr erwarten würde. Und als Christ spüre ich die Mitverantwortung dafür, ob das Kleid unserer Kirche ansehnlich bleibt und auch anziehend auf andere wirkt.
Ich bin überzeugt, dass viele Menschen oft ähnlich fühlen und denken wie in Carl Zuckmayers Bühnenstück der Hauptmann von Köpenik, der über sein Leben nachdenkt, mit sich ins Gericht geht und zum Schluss kommt:
„Und denn, denn stehste vor Jott dem Vater, stehste, der alles jeweckt hat, vor dem stehste denn, und der fragt dir ins Jesichte: Willem, wat haste jemacht mit deinem Leben? Und da mus ick sagen: Fußmatte, Fußmatte muss ick sagen. Die hab ick jeflochten im Jefängnis, und denn sind se alle druff rumjetrampelt, muss ick sagen...Und denn sagt Jott zu dir: Jeh wech! Sagt er! Ausweisung! Sagt er! Dafür hab ick dir det Leben nicht geschenkt, sagt er! Det biste mir schuldig! Wo is et? Was haste mit jemacht?“

Mir erzählt das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl eine Lebenswahrheit, die wir im Innersten des Herzens schon immer fühlen: Ich möchte vor mir selbst bestehen können. Ich möchte aus meinem Leben etwas machen. Ich möchte stolz auf mein Leben sein können. Ich möchte mich sehen lassen können. Das Gleichnis gibt uns eine Streicheleinheit und einen Rippenstoß zugleich. Es sagt uns: Du hast Voraussetzungen dafür, dass das Leben zu einem Fest werden kann. Du bist zu einem solchen Leben eingeladen. Aber bitte: Mach etwas draus. Lass dich nicht einfach bedienen oder hängen. Lass dich nicht einfach nur mittragen. Versuche dich nicht einfach durchs Leben zu mogeln und hüte dich, auf Kosten anderer leben zu wollen. Trag´ deinen Teil zu einem gelungenen Fest des Lebens bei.

Ein Zwischenruf

Liebe Leser, ich stelle mir jetzt vor, der Mann, von dem ich anfangs erzählt habe, der nachts mit den Zähnen knirscht und um den seine Frau Angst hat, hat mir die ganze Zeit zugehört. Würde er mir nicht jetzt sagen: „Ich stehe im Beruf, in der Familie doch schon so unter Druck, dass nachts vieles unter dem Deckel kocht. Überall nur Erwartungen, Erwartungen! Ich strenge mich doch im Leben an, leiste meinen Beitrag im Leben. Ich strenge mich so sehr an, dass ich jetzt schon nachts mit den Zähnen knirsche. Und jetzt kommen auch Sie noch daher und sagen mir auch noch: Mensch, mach was aus deinem Leben, verpass´ die Chancen nicht, Wollen Sie mich noch mehr unter Druck setzen?“
Ich würde diesem Mann klar sagen: „Von Ihnen erzählt das Gleichnis nicht! Die Geschichte vom Hochzeitsmahl erzählt von einem Mann, der sich an seiner Lebensaufgabe vorbeidrücken will und sich durchmogeln will. Aber vielleicht kann ihnen das Gedicht von Alois Albrecht einen Impuls geben. Vielleicht knirschen Sie mit den Zähnen, weil Sie sich zu sehr belasten lassen, weil Sie in allem perfekt sein möchten und dann enttäuscht sind, dass Sie weit hinter Ihren Erwartungen zurückbleiben. Vielleicht beißen Sie gerade die Zähne dafür zusammen, allem und allen gerecht zu werden. Vielleicht entlastet es Sie, wenn Sie auf das Gedicht einmal hören und darauf achten, wonach Gott einmal nicht fragen wird. Und ich hoffe, dass Sie aufatmen können und sich bestätigt fühlen in dem, worum Sie sich schon bemühen. Alois Albrecht behauptet:

Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde.
Heute wird getan oder auch vertan,
worauf es ankommt, wenn er kommt.
Der Herr wird nicht fragen: Was hast du gespart,
was hast du alles besessen? Seine Frage wird lauten:
Was hast du geschenkt, wen hast du geschätzt,
um meinetwillen?
Der Herr wird nicht fragen: Was hast du gewusst,
was hast du Gescheites gelernt?
Seine Frage wird lauten:
Was hast du bedacht, wem hast du genützt,
um meinetwillen?
Der Herr wird nicht fragen: Was hast du beherrscht,
was hast du dir unterworfen? Seine Frage wird lauten:
Wem hast du gedient, wen hast du umarmt,
um meinetwillen?
Der Herr wird nicht fragen: Was hast du bereist,
was hast du dir leisten können?
Seine Frage wird lauten:
Was hast du gewagt, wen hast du befreit,
um meinetwillen?
Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde.
Heute wird getan oder auch vertan,
worauf es ankommt, wenn er kommt.


Ich möchte diese Morgenfeier mit einem alten Segen aus dem Messbuch beschließen:
Gott, unser Vater, segne euch mit allem Segen des Himmels, damit ihr rein und heilig lebt vor seinem Angesicht.
Er lehre euch durch das Wort der Wahrheit; er bilde euer Herz nach dem Evangelium Christi und gebe euch Anteil an seiner Herrlichkeit.
Er schenke euch jene Liebe, an der die Welt die Jünger Christi erkennen soll.
Das gewähre euch der dreieinige Gott, der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen

Eingespielte Musik aus:
Ludger Edelkötter, Weißt du, wo der Himmel ist, Nr. 2 „Jetzt ist die Zeit“ (LC 8911)


Pfarrer Stefan Mai

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