Ein schlichtes Gebet und schwierige Lebensfragen

Predigt zum Rosenkranzfest 2011 in Gerolzhofen

Woher kommen wir?
Was sind wir?
Was dürfen wir hoffen?

Das sind die drei großen Grundfragen, die die Geschichte der Philosophie durchziehen. Diese Fragen drängen sich oft Menschen in bestimmten Situationen auf und werden verschieden beantwortet.

Ja, woher kommen wir?
Was sind wir?
Was dürfen wir hoffen?

Kardinal Joseph Ratzinger erzählte vor vielen Jahren, wie er einmal Grabsteine des alten Roms betrachtet und die Inschriften gelesen hat. Da stieß er auf einen Satz, der ihn betroffen machte. Da standen die Worte:
„Ex nihilo, nihil, in nihilum.“ - „ Aus nichts, nichts, zu nichts.“
Keine Freude, keinen Sinn, keine positive Deutung des menschlichen Lebens konnte derjenige finden, der diese Worte auf seinen Grabstein meißeln ließ. Geburt, Leben und Tod stehen unter dem Verhängnis des Nichts, unter dem Damoklesschwert der Sinnlosigkeit. Ein abgrundtiefer Weltschmerz steht uns mit diesen fünf Worten vor Augen: Ex nihilo, nihil, in nihilum. Aus nichts, nichts, zu nichts.

Liebe Leser, das Rosenkranzgebet, jenes schlichte und einfache Gebet der Volksfrömmigkeit, setzt sich betrachtend mit diesen schwierigen Lebensfragen auseinander:
Woher kommen wir?
Was sind wir?
Was dürfen wir hoffen?
Aber das Rosenkranzgebet gibt eine ganz andere Antwort als auf dem römischen Grabstein zu lesen ist.

Das Rosenkranzgebet mit seinen eingesprengten Glaubensgeheimnissen mit dem Blick auf das Leben Jesu will Antworten geben auf diese bohrenden Sinnfragen: Woher kommen wir? Was sind wir? Was dürfen wir hoffen? Und es will diese durch die ständigen Wiederholungen in uns hineintröpfeln lassen.
Jeder Rosenkranzbeter weiß, dass es den Rosenkranz in der Gebetstradition vor allem in drei Varianten gibt: den freudenreichen Rosenkranz, den schmerzhaften und den glorreichen Rosenkranz.

Der freudenreiche Rosenkranz spricht in den Geheimnissen um die Geburt Jesu von der Entstehung des menschlichen Lebens aus dem Ja Gottes. Er will in uns das Vertrauen wecken: Du bist kein Zufallsprodukt eines blinden Schicksals. Du bist von Gott bejaht und angenommen. Du kommst nicht aus dem Nichts. Gott hat ja zu dir gesagt.

Der schmerzhafte Rosenkranz spricht in den Geheimnissen um das Leiden und Sterben Jesu von der Härte des Lebens, den Leiden und Schmerzen. Aber er sagt nicht: Sinnlos, wertlos. Er weist darauf hin, dass Schmerz und Leid zum Leben gehören. Er will den Blick auf den leidenden Jesus wenden und hofft, dass dieser Blick leidenden Menschen hilft, ihr Leid zu bestehen. Er möchte glauben lassen: Auch das Leid ist vom Erbarmen Gottes unterfangen.

Der glorreiche Rosenkranz, der um das Geheimnis von Ostern kreist und mit dem Geheimnis der Krönung Mariens endet, möchte sagen: Du darfst auf eine Vollendung des Lebens bei Gott hoffen. Am Ende steht nicht das Nichts, sondern das Glück, nicht die Vernichtung, sondern die Vollendung.

Woher kommen wir?
Was sind wir?
Was dürfen wir hoffen?
Ex nihilo - nihil - in nihilum, wie auf dem Grabstein zu lesen ist?
Oder: Aus Gott - mit Gott - zu Gott - wie es mir der Rosenkranz glauben lassen möchte? Das ist die Frage!


Pfarrer Stefan Mai

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