Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren

Predigt zum 125. Jubiläum des Klosters Maria Schnee in Lülsfeld(Lesung: Jos 1,6-9; Evangelium: Mt 7,24-27)

Seit 125 Jahren trägt das Kloster in Lülsfeld den Namen „Maria Schnee“. Viele von Ihnen wissen, dass der Tag Maria Schnee auf den 5. August fällt. Das ist der Tag der Weihe der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom. Die Gründungslegende erzählt Folgendes:

Die Madonna soll in der Nacht auf den 5. August anno 358 dem römischen Patrizier Johannes und seiner Frau erschienen sein. Dieses Ehepaar litt sehr darunter, dass es keine Kinder hatte. Maria versprach den beiden, dass ihr Wunsch nach einem Sohn in Erfüllung ginge, wenn ihr zu Ehren eine Kirche an der Stelle errichtet wird, wo am nächsten Morgen Schnee liege. Schnee anfangs August in Rom, ein ähnliches Ding der Unmöglichkeit für die beiden wie der Traum von eigenen Kindern. Dennoch begaben sich die beiden daraufhin zu Papst Liberius. Und sie hörten mit Erstaunen, dass er denselben Traum gehabt hatte. Am Morgen des 5. August sei die höchste Erhebung des Esquilinhügels weiß gefärbt von Schnee gewesen. Genau an dieser Stelle begann man den Bau von Santa Maria Maggiore.

Vielleicht glaubte der Lülsfelder Pfarrer Augustin Bandorf auch an ein Wunder, als er 1880 mit einem Wohltätergeld und Riesenschulden den großzügigen Bau eines „Spitals für alte und bresthafte Leute“ begann. Dieser Pfarrer hatte klar die Not seiner Zeit erkannt. Er hatte klar erkannt, dass die Knechte und Mägde, die ihr Leben lang auf den Bauernhöfen gearbeitet hatten, nicht abgesichert waren und oft in eine furchtbare Altersarmut fielen und ein grausames Dasein im Alter fristeten. Er hatte eine Vision: Mit seinem Bau wollte er im Namen Christi Not lindern helfen - und erlitt dabei finanziellen Schiffbruch.

Auch der Orden der „Kongregation der Töchter des Allerheiligsten Erlösers“ trat in diese Fußstapfen, als er auf Bitten des damaligen Würzburger Bischofs Franz Joseph von Stein das Bandorfsche Spital, genannt „Maria Schnee“, kaufte. Auch dieser Schwesternorden hatte klar die soziale Not und auch die Bildungs- und Ausbildungsnot vor allem für die Mädchen auf dem Land erkannt und wollte Menschen durch die Hände, den Geist und die Güte ihrer Schwestern Menschen etwas von der Güte Gottes hindurchschmecken lassen und Not lösen helfen.
Und die Schwestern machten sich voller Kraft und Visionen an die Arbeit, nahmen im Herbst 1886 ihre Arbeit auf, betrieben ein kleines Altenheim für hilfsbedürftige Frauen und errichteten eine Haushaltungs- und Arbeitsschule für die weibliche Landjugend. Wie viel Gebrechen, Leid und Not des Alters wurden im Lauf der Geschichte in diesem Haus begleitet, wie viele Stimmen, Lachen und Gekicher von jungen Frauen waren in diesen Räumen zu hören, wie viel Rüstzeug für ihr Leben und für ihre Ehen wurden ihnen hier in diesen Räumen mit auf den Weg gegeben, wie viel Lebensenergie von mehreren Schwesterngenerationen hier an diesem Ort eingesetzt? Über lange Zeit schrieb Maria Schnee eine Erfolgsgeschichte.

Aber auch dem sehen wir in diesem Jubiläumsjahr nüchtern in die Augen: Es gibt hier kein Altenheim mehr, es gibt hier keine Berufsfachschule für Hauswirtschaft mehr, es gibt hier in diesen Räumen kein junges Leben mehr. Da „ein Loblied auf den Herrn der Geschichte“ singen, wie es die Lülsfelder Schwestern für diesen Gottesdienst als Thema gewählt haben, wo in soziale Projekte so viel an Überlegung, Kraft und Energie über Jahrzehnte investiert wurde und Lebenssinn für Schwesterngenerationen bedeutete und jetzt auch ein Stück Trauerarbeit angesagt ist? Soll das jetzt alles einfach „Schnee von gestern“ sein?
Da soll man einem Buch Josua glauben: „Wer die Weisungen Gottes ernst nimmt, wird auf seinem Weg Glück und Erfolg haben“ (Jos 1,8)? Da soll man daran glauben: „Wer auf die Stimme Jesu hört, dessen Haus wird festen Bestand haben und es wird nicht einstürzen“ (vgl. Mt 7,25)? Oder noch zugespitzter gefragt: Erlebt Maria Schnee nach dem Scheitern der ersten Vision des Pfarrers Augustin Bandorf in den kommenden Jahren diesmal zwar kein abruptes Ende, aber ein langsames Sterben einer großen Vision und eines großartigen Sozialprojekts mit einer über hundertjährigen Geschichte?

Liebe Schwestern, liebe Gäste!

Der Name des Klosters „Maria Schnee“ hat in mir wieder einmal das Wort eines spanischen geistlichen Meisters aus dem 16. Jahrhundert in Erinnerung gerufen. Francisco von Osuna schreibt: „Willst du Christus folgen, musst du aber wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“
Das heißt doch: Unser Auftrag ist, immer wieder nach den Spuren Jesu in der Zeit, in der wir stehen, zu suchen. Das eine Ohr nahe am Wort des Evangeliums zu haben und das andere Ohr am Puls und an den Herausforderungen unserer Zeit. Und damit tun wir uns als Kirche zur Zeit so schwer. Als Kirche wünschen wir uns zu sehr, auf einmal gelegten Geleisen immer weiter zu fahren. Und merken oft nicht, dass die gelegten Geleise nicht mehr zu den Menschen führen und zu dem, was ihr Herz bewegt, wonach sie sich sehnen und was sie suchen.
Doch die Geschichte lehrt uns: Was gestern einmal die Spur Jesu war, kann heute oder morgen ausgetreten sein und von Menschen nicht mehr als die Spur Jesu erkannt werden. „Willst du Christus folgen, musst du aber wissen: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren.“ Ständige Bereitschaft einer Suche nach den verdeckten Spuren Jesu in der jeweiligen Zeit ist nach dem Meister Francisco de Osuna unsere Herausforderung und Aufgabe zugleich.

Bitten wir heute Gott darum, dass uns diese Bereitschaft geschenkt wird. Denn dann kann ich im Rückblick auf eine wechselvolle 125- jährige Geschichte des Klosters Maria Schnee darauf vertrauen, dass die Spuren, die der in den Augen der Welt gescheiterte Pfarrer Bandorf und die Erlöserschwestern in langen 125 Jahren in der Nachfolge Jesu gegangen sind, ein Segen für Menschen waren und für manchen Menschen eine goldene Spur gelegt haben. Und ich kann nur hoffen, dass Gott, der Herr der Geschichte, allen, die ehrlich und ohne groß dabei herauskommen zu wollen, immer wieder neu auf Spurensuche gehen, wenn sie spüren: Inzwischen fiel Schnee auf seine Spuren, auch heute lässt Josua wie damals sein Wort der Ermutigung hören: „Sei mutig und stark! Fürchte dich also nicht und hab keine Angst; denn der Herr, dein Gott, ist bei dir bei allem, was du unternimmst!“


Pfarrer Stefan Mai

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