In unserem Weinberg ist ein großer Schatz verborgen, grabt danach!

Predigt zur Einführung von Barbara Gößmann-Schmitt als Gemeindereferentin in Oberschwarzach

Im fränkischen Land ist die Sage vom alten Winzer und seinen drei Söhnen bekannt:
Ein Bauer hängt mit Leib und Seele an seinem Weinberg. Der Weinberg prägt und bedeutet sein Leben. Doch seine Söhne denken anders. Als sie größer werden, beginnen sie zu murren, mit in den Weinberg zu gehen. Dem einen ist er zu steil und die Arbeit zu mühselig. Der zweite meint: „Ach Vater, du siehst doch, dass du dich manches Jahr umsonst plagst und alles erfriert.“ Der dritte möchte nicht mehr angebunden sein.
Der alte Winzer sieht es kommen: Wenn ich einmal sterbe, dann wird mein Weinberg verwildern und von Unkraut überwuchert.
Der Vater stirbt und die Söhne machen das Testament auf. Da lesen sie: „Meine lieben Söhne. In unserem Weinberg liegt ein großer Schatz verborgen, grabt danach!“
Der Vater ist kaum unter der Erde, da fangen die drei Söhne wie wild zu graben an. Und weil sie beim ersten Durchhacken nichts finden, wühlen sie ihn noch einmal mit Hacke und Spaten durch und werfen die steinige Erde durch das Sieb.
Die Enttäuschung steht auf den Gesichtern. Denn keine Spur von einem Schatz. Und sie fangen an über den Vater zu schimpfen. Doch als der nächste Herbst ins Land zieht, da strotzt der Weinberg voller Trauben. Wie Schuppen fällt es ihnen von den Augen. Jetzt kapieren sie: Das ist der Schatz, von dem der Vater schrieb.


Frau Gößmann-Schmitt, Sie kommen als junge Frau in einer Zeit in unsere Gemeinden, in der viele für die Kirche keinen Pfifferling mehr geben oder wenig Freude am Weinberg der Kirche haben. In einer Zeit, in der sich so mancher und so manche, die einmal den Weinberg mitgepflegt haben, die Hacke in die Ecke gestellt haben, weil sie zu viel Unkraut darin sahen.
Sie kommen aber auch in Gemeinden, in der auch noch heute Menschen davon überzeugt sind: Im Weinberg der Kirche ist ein großer Schatz verborgen.
Im Weinberg der Kirche ist ein Schatz verborgen, der eine Dorfgemeinschaft erahnen lassen kann: Wenn Menschen miteinander die Höhen und Tiefen des Lebens in ihrer Kirche feiern, Gott im Glück die höchsten Töne singen oder im tiefsten Leid bei ihm Trost und Hilfe suchen, das hält Menschen zusammen.

Im Weinberg der Kirche ist ein Schatz verborgen, der quer liegt zu dem, was heute glänzt und hoch im Kurs steht. Es ist der Glaube an einen Gott, der - so haben wir es heute im Weinberggleichnis gehört - unsere gängigen Bilder von erfolgreich und tüchtig durchkreuzt, der so viel primitiven Neid unter uns Menschen aufdeckt: „Bist du etwa neidisch, weil ich gütig bin?“ Es ist der Glaube an einen Gott, der alle kapitalistische Logik durchkreuzt. Der weiß, dass von manchem mehr gefordert werden kann als von einem anderen, ohne dass der, der mehr leistet, vor seinen Augen wertvoller ist.

Im Weinberg der Kirche da gibt es einen Schatz an Riten, Liedern, Gebeten, die Lebenshilfe bedeuten. Ich werde nie den Vater vergessen, der seinem Kind zur Kommunion ins Gebetbuch die Widmung schrieb: „Mögen auch Dir die Lieder und Gebete, die uns im Leben Kraft gaben, Hilfe und Trost im Leben sein.“
Ich bekomme immer Gänsehaut, wenn Demenzkranke, die nicht mehr sprechen können, plötzlich bei Kirchenliedern mit einstimmen, oder wenn Sterbende noch mit einem Gebet auf den Lippen den Gang durch das enge Tor des Todes gehen.
Im Weinberg der Kirche gibt es in der Urkunde unseres Glaubens, der heiligen Schrift, Goldkörner zu entdecken, die einen ein Leben lang begleiten, trösten, kritisieren, Ideen geben und neue Lebensperspektiven schenken können.

Im Weinberg der Kirche ist ein Schatz verborgen: Da triffst du Menschen, die einfach leise und still für andere da sind und ihre Arbeit tun, ohne groß dabei herauskommen zu wollen, sondern einfach deshalb, weil sie gut zu Menschen sein wollen und demütig vor Gott.
Da kannst du Menschen finden, von denen man lernen kann, wie sie mit Leid umgehen, in größter Not nicht verzweifeln, weil sie an eines glauben: Der Herrgott lässt mich nicht im Stich und gibt mir Kraft.

Liebe Frau Gößmann-Schmitt,
Sie sind erst einige Tage hier bei uns im Steigerwald. Aber eines haben Sie sicherlich schon bemerkt. Wo Sie in Oberschwarzach „naus und no“ gehen, schauen Sie in Weinberge. Bitte vergessen Sie diesen Satz des alten Winzers nie:
„In unserem Weinberg ist ein Schatz verborgen!“ Glauben Sie mit uns daran und graben Sie mit uns danach!


Pfarrer Stefan Mai

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