Was heißt schon „normal“?

Predigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis

Predigt

Ein Durchschnittsbürger in unserem Land lässt morgens um 6.18 Uhr nach 6 Stunden und 59 Minuten Schlaf den Wecker klingeln. Er putzt sich die Zähne mit einer Zahnbürste, die er im Schnitt zwei Mal pro Jahr wechselt. Vielleicht weckt er dann eines seiner durchschnittlich 1,37 Kinder auf? Oder er setzt sich nach dem Frühstück erstmals an den Computer, an dem der Durchschnittsbürger seine 77 Minuten pro Tag im Internet verbringt. Ein hierzulande ganz normaler Tagesbeginn. Das gaukelt uns zumindest die Statistik vor. Wenn wir auch solche „Normalbürger“ wären, säßen wir am Sonntagmorgen nicht hier. Denn das tun im Schnitt nur 13% der deutschen Katholiken. Ein Kirchenbesuch ist damit eher die Ausnahme als die Regel.

Für manche Menschen ist es eine große Angst, nicht „normal“ zu sein. Was denken die anderen von mir, wenn ich mich nicht nach der aktuellen Modefarbe und Schuhform richte? Was denken meine Mitschüler von mir, wenn ich mit 17 noch Ministrantin bin? Was denken die Arbeitskollegen von mir, wenn ich keine Lust auf Urlaub in Trendländern wie Kroatien, Spanien Griechenland, Türkei oder einer exotischen Insel habe? Wie schnell fällt man auf, wenn ich aus der Reihe tanze, wenn mir derzeitige Trends egal sind, wenn ich Dinge tue, die derzeit nicht „in“ sind. Wie schnell gilt man als schrullig oder als Provokateur, wie schnell wird da über einen gespöttelt, wie schnell gerät man in eine Außenseiterrolle.

Da ist es schon eine Verführung, so zu sein wie die meisten anderen. Denn Maßstäbe und Normen werden in unserer Gesellschaft dadurch gesetzt, was die Mehrheit tut. Das gilt dann als normal. Die Mehrheit der Medien hält uns dann die vermeintliche „Normalität“ vor Augen: die heile Familie am Frühstückstisch, den gewitzten Geldanleger, den kraftvollen Autofahrer, die Frau mit dem Superkörper, den erfolgreichen Sportler. Und ganz besonders weh tut es, wenn die Mehrheit im Familien- oder Freundeskreis irgendetwas für „normal“ erklärt, wo ich überhaupt nicht mitmachen kann und deswegen „unten durch“ bin.
Damit das nicht passiert, wird gepaukt, gehungert, werden Kredite aufgenommen. Und das alles nur, um irgendwie „normal“ zu sein.

Welch anderer Ton schlägt uns da aus der Lesung entgegen. Paulus fordert die Christen in Rom auf:
„Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist.“
Das ist doch geradezu eine Aufforderung, nicht „normal“ zu sein, nicht so zu ticken, wie die Mehrheit tickt, anders zu denken als was gerade „Mainstream“ ist.
Und Jesus ist ein echter Querdenker, wenn er einem „Möglichst Viel“-Denken, einem „Immer-Mehr, Immer-Mehr“-Denken entgegensetzt: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?"
Solche Schriftworte fordern uns wieder einmal heraus, zu der Frage Stellung zu nehmen: Von wem lasse ich mir meine Normen, meine Maßstäbe setzen?

Die Anregung zur Predigt verdanke ich Hildegard Scherer, Lesepredigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis, Diözese Würzburg
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Fürbitten

In der Stille beten wir heute für Menschen, die wir kennen und in unterschiedlichen Lebenssituationen stehen:

Menschen, die wir kennen, haben ein schweres Kreuz zu tragen und zerbrechen beinahe daran. Wir denken an sie und beten für sie in Stille. - (Stille) -

Menschen, die wir kennen, verstehen nicht, warum sie nicht mithalten können im Konkurrenzkampf unserer Zeit und trotz Arbeit auf keinen grünen Zweig kommen. Wir denken an sie und beten für sie in Stille.

Menschen, die wir kennen, wollen das Leben gewinnen, indem sie jeder Mode nachlaufen und immer tun, was „man“ tut. Wir denken an sie und beten für sie in Stille.

Menschen, die wir kennen, kreisen nur um sich selbst und blenden jeden Gedanken an den anderen und an Krankheit und Tod aus. Wir denken an sie und beten für sie in Stille.

Menschen, die uns nahe standen, die wir gekannt und mit uns gelebt haben, sind gestorben. Wir denken an sie und beten für sie in Stille. In diesem Gottesdienst denken wir an......

Darum bitten wir ...


Pfarrer Stefan Mai

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