Wie ein Gespenst

Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis (Mt 14,13-21)

Sicherlich, es ist die Aufgabe von Theologen, über Gott nachzudenken, von Gott zu reden, Erfahrungen von Menschen, die sie in ihrer Glaubensgeschichte mit Gott gemacht haben, zu deuten. Es ist ihre Aufgabe, von Gott so zu reden, dass der Geschmack an ihm in unserer Welt nicht verloren geht. Aber manchmal wundere ich mich schon, wie selbstsicher sie von Gott Behauptungen aufstellen, wenn sie genau wissen wollen, wie er über unsere Welt denkt, was sein Wille ist oder wie das innertrinitarische Beziehungsgeflecht funktioniert.

Das heutige Evangelium warnt davor, zu selbstsicher von Gott zu reden. Die Seesturmgeschichte malt uns vor Augen, wie schnell das scheinbare sichere Wissen um ihn wegbrechen kann, wie jäh Bilder, die wir uns von ihm machen, zerstört werden können.
Sie meinten ihren Jesus zu kennen, die Zwölf. Seite an Seite zogen sie mit ihm übers Land, hörten, was er redete und ihm wichtig war. Sie erlebten hautnah, wie er mit Menschen umging. Aber jetzt in der Nacht, als sie vom Gegenwind kräftig geschüttelt und hin- und hergebeutelt werden, jetzt, wo ihnen der Boden unter den Füßen wankt, wo sie nicht mehr ein- und auswissen vor Angst, da kommt der ihnen sonst so vertraute Jesus vor wie ein Gespenst. Sie erschrecken und schreien. Und selbst das ruhige Einreden Jesu auf die Jünger in der Art, wie es eine Mutter bei ihrem verängstigten Kind macht, kann die Zweifel nicht zerstäuben. Und auch das große Wort, mit dem sich im Alten Testament Gott vorstellt: „Ich bin es, fürchtet euch nicht!“, kann die Angst nicht vertreiben.

Liebe Leser, das ist doch auch unsere Erfahrung: Wenn das Leben anders kommt als wir es uns vorstellen oder wünschen, wenn Sorgen und Probleme mürbe machen, wenn Angst uns zu schaffen macht: Wie leicht zerbricht da das Gottesbild von einem mitgehenden und mitfühlenden Gott. Und wie wenig spüren wir da von seiner Nähe und meinen, uns in ihm getäuscht zu haben.

Und doch lädt diese Seesturmgeschichte gerade in solchen Situationen ein, wie Petrus es zu wagen, seinem „Fürchte dich nicht!“ Glauben zu schenken, seinem „Komm!“ zu vertrauen und im Blick auf ihn nächste Schritte zu wagen, auch auf die Gefahr hin, wie Petrus erneut einzubrechen, „Herr rette mich“ zu schreien und neu zu lernen: Glauben heißt nicht: Gott verschont uns vor allem Schweren, sondern: er bewahrt uns in allem Schweren.

Wie eine solche Glaubenshaltung in der Sprache unserer Zeit und im Respekt vor der Unbegreiflichkeit Gottes ausschauen kann, das hat für mich der walisische Pfarrer und Dichter R. S. Thomas in ein starkes Bild gebracht. „Volksmärchen“ überschreibt er sein Gedicht:

Gebete, wie Steinchen
gegen das Fenster des Himmels geworfen, in der Hoffnung,
des Geliebten Aufmerksamkeit zu erregen. Aber ohne
sichtbare Zöpfe zum Herunter-
lassen, auf dass der Gläubige
daran heraufsteigen kann

Nur einmal beim Schielen
durch meine verschränkten Finger
dachte ich, ich erspähte
die Bewegung eines Vorhangs.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de