Scheinbare Privilegierung

Predigt zum 15. So. i. J. (Mt 13,1-23)

Einleitung

Er hört halt nix! Man kann sag’, was me will. Da kannst du mit Engelzungen red’ oder die Höll’ predig’. Es nutzt alles nix: Er hört halt nix.
Und der zwätt: Is genauso erzogen wie der. Und hört nix anders. Aber der macht’s und folgt. Musst’s ne ke zweimal sag.
Es ist oft ein Rätsel: Zwei Menschen hören das Gleiche. Aber der eine hört drauf. Der andere nicht. Bei dem geht’s zum einen Ohr rein und zum andern gleich wieder raus.

Predigt

Da sind sie einen Kopf größer geworden, die Jünger Jesu, als Jesus zu ihnen sagt: „Selig seid ihr. Denn eure Augen sehen und eure Ohren hören.“
Das tut gut: Die Besseren zu sein. Auf der richtigen Seite zu stehen. Bei denen, die alles gleich kapieren.
Ganz im Gegenteil zu den andern: Die stehen auch am Ufer. Die hören die gleiche Geschichte vom Sämann. Aber sie können nichts damit anfangen.
Selbst die Jünger fragen: Wir verstehen’s – und die anderen nicht. Warum ist das so?
Und Jesus reagiert fast wie ein Psychologe und sagt: Es kommt ganz auf die Lebenssituation an. Die einen verstehen’s einfach nicht. Und was ich nicht verstehe, das berührt mich auch nicht. Das ist auch gleich wieder weg. Da höre ich etweas – und es ist wie Schall und Rauch.
Und dann gibt es die anderen. Die sind mords begeistert. Aber wie ein Strohfeuer: kurzes Aufflammen – und schnell erloschen. Da meint man: Jetzt geht’s richtig los, aber die Faszination verblasst schnell – und dann hört man nichts mehr von ihnen.
Und dann gibt es die, die möchten zwar gern. Aber bei denen sind einfach die Sorgen und Probleme so groß, dass sie alles überwuchern. Die haben ihren Kopf so voll mit Sorgen und Problemen, da passt nichts mehr anderes rein.
Bei euch ist das anders, sagt Jesus. Ihr habt mit mir schon länger zu tun. Ihr versteht, worum’s geht.
Aber einzubilden darauf braucht ihr euch gar nichts. Verstehen können, das ist ein Geschenk. Keine Leistung von euch. Es kommt darauf an, was ihr aus diesem Geschenk macht. Ob ihr den Worten Taten folgen lasst. Ob man an eurem Leben sieht, dass ihr’s verstanden habt.
Liebe Leser, ich glaube, da ist was dran, an dem Wort, das Jürgen Habermas geprägt hat: Die einen sind religiös musikalisch, die anderen sind einfach religiös unmusikalisch. Auf religiöse Musikalität braucht man sich nichts einzubilden. Die wurde uns geschenkt: durch das Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind; vielleicht auch durch bestimmte Charakterstrukturen. Nach dem heutigen Evangelium ist allein entscheidend, ob man aus der musikalischen Begabung etwas macht.
Ob andere an mir spüren dürfen: Der setzt etwas um von dem, was er Sonntag für Sonntag in der Kirche hört. Bei dem bringt das Wort Frucht. Der hört das Wort, versteht es – und lässt Taten folgen.


Pfarrer Stefan Mai

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