Denk an das Gerüst

Predigt zur Landfrauen-Maiandacht in Maibach am 22. Mai

Zurzeit boomt die Baubranche. Im Rahmen des Konjunkturprogramms wird überall gebaut. Überall mächtige Baugerüste. Ohne ein Baugerüst ist kein Bau möglich. Aber wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, verschwindet es wieder. Selbstverständlich. Es hat ja seinen Zweck erfüllt. Abgebaut und weggeschafft wird keiner es vermissen.
Der unvergessliche brasilianische Bischof Helder Camara, ein kleines, zähes Männchen mit hellwachen Augen und sprechenden Händen, schrieb einmal in einem Gedicht:

„Wenn du dem Abbruch
eines Baugerüsts beiwohnst,
„bewundre
– selbstverständlich –
das Gebäude, das erscheint.
Denk aber auch an das Gerüst;
denn es ist hart,
Stütze gewesen zu sein während des Baus,
unerlässlich für das Werk,
und zur festlichen Stunde
weggeschafft zu werden.“


Ein wichtiger Hinweis im Blick auf Menschen. Auch die sind oft für einander da wie ein Baugerüst. Stabil und verlässlich geben sie anderen und der Gemeinschaft Halt und Sicherheit. Ohne sie würde vieles nicht entstehen und aufgebaut werden können: Eltern, die Kinder ins Leben begleiten, Pflegekräfte, die Erkrankte wieder auf die Beine bringen, Erwachsene, die jungen Menschen Orientierung für den eigenen Weg mitgeben. Und wie stark können Menschen uns aufbauen und aufrichten, die uns die Freundschaft halten?
Oft bleiben sie dabei ganz im Hintergrund. Eine gelungene Berufskarriere, die wieder erlangte Fitness, die aufregende Suche nach dem eigenen Weg lässt ihren Einsatz schnell vergessen. Und die tragenden Kräfte eines Vereins stehen meistens nicht auf dem Siegerpodest. Aber wäre ich derselbe ohne ihren unauffälligen Dienst?
Für viele Menschen ist das eine schmerzliche Erfahrung: Du warst einmal eine Stütze für andere, aber dann wirst du einfach beiseite liegen gelassen. Es ist hart, gedient zu haben - und dann das Gefühl, ausgedient zu haben. Es ist hart, das Gefühl: Solange du funktioniert hast und für etwas gut warst, hat man dich gebraucht. Doch dann wirst du schnell vergessen.
Manchmal frage ich mich, ob sich nicht auch Maria wie ein solches Baugerüst vorgekommen sein muss. Sie hat unter Schwierigkeiten ihren Sohn aufgezogen, alles für ihn getan und dann schmeißt der den Krempel hin und zieht als Wanderprediger durch die Lande. Es tut doch weh, alles für ihn getan zu haben und dann lässt dieser Jesus die Mutter einfach draußen stehen, deutet auf seine neuen Freunde und sagt direkt frech: „Das hier sind meine Mutter und meine Brüder.“ Von Dankbarkeit gegenüber einer Mutter kann hier keine Rede sein! Keiner weiß wie es Maria im Alter ergangen ist. In den Evangelien verliert sich einfach ihre Spur. In den Evangelien geht es um das Bauwerk, um Jesus, nicht um das Baugerüst, um Maria.„Es ist hart, Stütze gewesen zu sein, dann einfach liegen gelassen oder beiseite geworfen zu werden.

Liebe Leser,
die Volksfrömmigkeit mit ihrer Marienverehrung setzt hier einen Gegenpol: Nicht nur das Gebäude, das erscheint, wird bewundert, sondern das Gerüst. In den Maiandachten wird es nicht vergessen. Nicht nur Jesus wird geehrt, sondern auch die, die ihm im Leben eine Hilfe und Stütze war, wird verehrt. In unserer katholischen Marienfrömmigkeit kommt für mich immer etwas von der Würde eines dienenden Lebens zum Ausdruck, das im Hintergrund für Menschen vieles getan hat, ohne groß raus zu kommen. Im übertragenen Sinn erinnert mich die Marienfrömmigkeit an die Weisheit des Gedichtes von Dom Helder Camara:
„Denk auch an das Gerüst ...“ – an diese „Stützen der Gesellschaft“, ohne die ein gutes, menschliches Miteinander kaum wachsen und gelingen kann. Sich dabei zurückzunehmen, damit Neues möglich wird und Selb-Ständigkeit entstehen kann, ist das eine. Alle Eltern lernen diese Lektion. Das andere aber ist, darüber beachtet und nicht vergessen zu werden. Ein Baugerüst braucht das nicht. Uns Menschen aber tut es gut.

Litanei 1

Antwortruf: Lass uns von dir lernen

- Helfen, ohne zu berechnen
- Helfen, ohne Dank zu erwarten
- Gutes tun, ohne eine Gegenrechnung aufzumachen
- Unterstützung geben, ohne zu wissen, ob es sich rentiert
- Vertrauen schenken, ohne zu wissen, ob es nicht ausgenutzt wird
- Anderen eine Stütze sein, ohne zu wissen, ob auch ich einmal gestützt werde
- Sich auf einen inneren Anruf einlassen, ohne dass es Sicherheit gibt
- Glauben schenken ohne letzte Sicherheit
- Sich auf Schweres einlassen, ohne zu wissen, ob die Kraft reicht
- Sein Leben auf das Fundament des Glaubens bauen, ohne die Gewissheit, dass es trägt

Antwortruf: Lass uns darauf vertrauen

- Wer gibt, der empfängt
- Wer hilft, dem wird geholfen
- Wer andere unterstützt, der wird auch gestützt
- Wer gute Worte für andere übrig hat, darf auch gute Worte hören
- Wer für andere betet, der wird im Gebet nicht vergessen
- Wer Güte investiert, geht nicht leer aus
- Wer für andere sorgt, für den wird auch gesorgt
- Wer Kontakt zu anderen hält, der wird auch nicht allein gelassen

Litanei 2

Antwortruf: Danken wir dir

- Für jede Unterstützung
- Für jedes gute Wort
- Für jeden verständnisvollen Blick
- Für jede Anerkennung
- Für jede Begegnung
- Für jede erfahrene Freude
- Für jedes Gedenken
- Für jedes Gut-Meinen
- Für jede gute Erfahrung
- Für jeden guten Rat
- Für jede neue Erkenntnis
- Für jede zuteil gewordene Hilfe
- Für das Umsorgtsein im Elternhaus
- Für die Verlässlichkeit von Freundschaften
- Für die Förderung in Schule und Beruf
- Für die Treue in der Partnerschaft
- Für das entgegengebrachte Verständnis im Alter
- Für den Beistand in Krisen
- Für die Hilfe in der Krankheit


Pfarrer Stefan Mai

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