Nur zugehört hat er mir nicht!

Predigt zum Tag der Ewigen Anbetung 2011

In einem Brief schreibt ein Mädchen: „Ich hatte einen Freund. Wir verbrachten eine schöne Zeit miteinander. Nur zugehört hat er mir nicht. Daher wusste er nicht, was mir wichtig ist. Ich möchte nämlich einem Menschen gehören, der zu mir hält, der mich versteht, der nicht nur Fragen stellt, sondern auch von sich erzählt, was er erlebt, woran er sich freut. Er hat nur an sich gedacht. Nie hat er begriffen, dass auch ich mich nach ein wenig Liebe sehne.“ (aus. R. Stertenbrink, Gottes Wort auf der Spur, S. 325)

Eine Beziehung scheitert, weil das Mädchen das Gefühl hat: Er hat mir nie zugehört und sie schließt daraus: Ein Mensch, der nicht zuhören kann, denkt nur an sich.

Wenn ich diese Zeilen lese, da überfällt mich der Gedanke: Wenn ich bete, d. h. wenn ich mit Gott spreche, hört er mir wirklich zu? Ist es wirklich so, wie es in einem modernen Lied heißt:
„Wenn die Last der Welt dir zu schaffen macht,
Gott hört dein Gebet.
Gott hört dein Gebet, auf dein Gebet.
Er versteht, was sein Kind bewegt.
Gott hört dein Gebet.


Oder haben wir nicht oft das Gefühl: Ich rede zu Gott, möchte mit ihm über alles sprechen, was mich bewegt und hoffe auf Zeichen, dass er mir zuhört? Es macht uns doch zu schaffen, dass unser Gebet, unser Rufen scheinbar verhallt. Wir hören keine Antwort. Da ist nichts als Schweigen. Grund, ihm die Freundschaft zu kündigen?

Ja, das Schweigen Gottes macht uns zu schaffen. Sinngemäß hat der große Theologe Karl Rahner einmal gesagt: Man schlägt im Gebet Gott täglich die Welt um die Ohren, und er schweigt. Das Schweigen macht jedes Gespräch schwer. Wenn ich mit einem Menschen rede, und er schweigt, dann wird die Rede bald versickern. Nun gut! Man kann theologisch sagen: Gott schweigt nicht! Aber zunächst schweigt er. Ich höre keine Stimme. Gott macht uns das Beten schwer. Ich will Gott nicht damit rechtfertigen, indem ich sage: Er ist der ganz Andere, der Heilige, der Unbekannte. Ich denke, dass das ein Problem der Theologie ist, dass sie Gott zu schnell rechtfertigen will. Wir, Menschen mit Herzen voller Trauer, Glück und Schmerz reden mit ihm. Und er schweigt - gut - oder nicht gut! Dann müssen wir eben in sein Schweigen springen. Aber leicht macht er es uns nicht.

Wie dieses Schweigen Gottes als mein Gegenüber im Gebet aushalten? Wie damit umgehen? Eine Spur weist mir der Spruch, der auf der Wandtafel in der Kapelle einer französischen Basisgemeinde zu lesen ist:
Du bist nicht hier, damit Gott dich erhört!
Du bist hier, damit du Gott erhörst!
Du weißt es ganz genau.


Bei jedem Gebet haben wir die Hoffnung, dass uns Gott erhört.
Habe ich darüber schon einmal nachgedacht? Das Schweigen Gottes im Gebet als ein Ort, an dem ich seine Bitte an mich heraushöre, seinen Zuspruch, seinen Trost erahne, herausfühle?


Pfarrer Stefan Mai

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