Müdigkeit

Predigt zum Ostermontag

Einleitung

Es gibt alte Volksweisheit: Müde ist man nie, nur faul. Nichts gegen Volksweisheiten. Aber vielleicht haben sich die Zeiten doch verändert. Müdigkeit in unserer Zeit muss nicht unbedingt etwas mit Faulheit zu tun haben.

Predigt

„Bist du a so müd? Ich weiß gar net, was mit mir los is: dauernd müd.“ – „Ach, des ist die Frühjahrsmüdigkeit!“ Kennen Sie solche Gespräche? Im Frühjahr kann man ja noch gut die Müdigkeit auf den Temperaturwechsel schieben. Aber wenn die Müdigkeit im Sommer, Herbst und Winter bleibt – welchen Namen hat sie dann?
Ich behaupte: Müdigkeit ist ein Phänomen unserer Zeit. Die Kehrseite vom Leistungsdruck. Überall steigen die Ansprüche: immer mehr leisten in immer kürzerer Zeit. Leistung dauernd abrufbar. Wer soll das durchhalten? Das Burnout-Syndrom wird neben der Depression zur zweiten Volkskrankheit.
Aber das ist nicht alles. Müdigkeit gibt es auf fast allen Gebieten: Politikverdrossenheit. Viele haben keine Lust mehr bei diesen Schlingerkursen in der Politik. Das Wahlprogramm von heute kann schon morgen auf den Kopf gestellt werden. Kein Wunder, dass immer weniger zur Wahl gehen, weil sie sich denken: Die machen sowieso, was sie wollen.
Kirchenmüdigkeit: Nicht nur, dass viele zu müde sind, am Sonntagmorgen aus dem Bett zu kommen. Auch viele Engagierte sind es müde, dass trotz ihres Einsatzes in den Gemeinden sich keine neue Aufbruchstimmung zeigt, sich nichts bewegt.

Und so mancher ist beziehungsmüde geworden, wenn er ein- oder zweimal eine Enttäuschung hinter sich hat. Wie lässt es sich anders erklären, dass in Deutschland 50% als Single leben?
Auch die beiden Wanderer nach Emmaus sind müde. Und das am Wochenanfang. „Am ersten Tag der Woche“ machen sie sich auf den Heimweg nach Emmaus. Die Vergangenheit in Jerusalem wollen sie hinter sich lassen. Sie leiden unter einer Enttäuschungsmüdigkeit. Alle Träume mit ihrem Jesus sind zerplatzt. Nichts ist eingetroffen von dem, was sie sich erhofft haben. Jetzt bleibt nur: Nichts wie weg, auch wenn sie nicht wissen, was kommt.
Liebe Leser, das heutige Evangelium hat kein Patentrezept gegen Müdigkeiten aller Art. Aber es gibt wichtige Hinweise, wie ich mit meiner Müdigkeit umgehen könnte, egal welchen Namen sie hat. Es sind drei Ratschläge.

1. Mach nicht einfach weiter, wenn du dich müde fühlst. Mach’s wie die Emmauswanderer. Sie ziehen erst einmal einen Schlussstrich – und brechen auf. Weg von dem, was sie zermürbt.
2. Mach dir bewusst, was die Gründe für deine Müdigkeit sind. Mach’s wie die Emmauswanderer: Red’ mit anderen über deine Enttäuschungen, unerfüllten Erwartungen. Sprich aus, was dich mürbe macht.
3. Bleib offen. Vielleicht geht dir’s wie den Emmauswanderern. Vielleicht begegnet dir ein Mensch, der dir eine Perspektive eröffnet. Vielleicht stößt du auf einen Satz in einem Lied, in einer Filmszene, auf einem Spruchkalender, der dich auf andere Gedanken bringt und dir die Zukunft in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Liebe Leser, die beiden ersten Schritte kann ich selbst tun: Aufhören, wenn ich müde bin. Über den Grund meiner Müdigkeit mit anderen reden. Der dritte Schritt, eine neue Perspektive, ist Geschenk.

Fürbitten

Die besten Osterpredigten sind aufgeweckte Christen und aufgeweckte Gemeinden, in denen neues Leben zu sehen und zu spüren ist.

- Warten heute nicht viele auf Zeichen der Freude – auf frohe und freundliche Menschen, die ihnen wieder Lust am Leben vermitteln? Deshalb unsere Bitte: Herr, erwecke deine Kirche und fange bei mir an!
A: Herr, erwecke deine Kirche und fange bei mir an!

- Warten heute nicht viele auf Zeichen der Begeisterung – auf begeisterte Menschen, die sie mitreißen und ihnen neue Ziele zeigen? Deshalb unsere Bitte:
A: Herr, erwecke deine Kirche und fange bei mir an!

- Warten heute nicht viele auf Zeichen der Freiheit – auf freie und gelöste Menschen, die ihnen aus Ängsten und Zwängen heraushelfen? Deshalb unsere Bitte:
A: Herr, erwecke deine Kirche und fange bei mir an!

- Warten heute nicht viele auf Zeichen der Nähe – auf liebevolle Menschen, die sie trösten und begleiten beim nächsten Schritt. Deshalb unsere Bitte:
A: Herr, erwecke deine Kirche und fange bei mir an!

Christus, Herr deiner Kirche, lass uns in Wort und Tat Zeugen deiner Auferstehung sein.


Pfarrer Stefan Mai

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