Ein letztes Abendmahl

Gründonnerstag

Einleitung

Bei dem Stichwort „Abendmahlssaal“ steht jedem vor uns ein Bild vor Augen. Meistens ist es geprägt von dem berühmten Bild von Leonardo da Vinci: eine hufeisenförmige Tafel, Jesus in der Mitte, links und rechts die Jünger, der Lieblingsjünger liegt an der Brust. Völlig verschiedene Reaktionen in den Gesichtern. Die einen staunen, die anderen fangen zu diskutieren an, und einer – mit dem Beutel in der Hand – hat sein Gesicht schon abgewendet.
Diese Szene wird in einem neuen Film aufgegriffen – aber ganz anders.

Predigt

Manchmal finden die besten Predigten im Kino statt. Dieses Gefühl hatte ich beim Film „Von Göttern und Menschen“ von Xavier Beauvois. Die Premiere war zwar kurz vor Weihnachten, aber eigentlich war das ein Gründonnerstagsfilm.
Er erzählt von neun Trappistenmönchen im Atlasgebirge in Algerien. Sie leben mitten unter der muslimischen Bevölkerung. Die Leute kommen gerne ins Kloster. Denn da ist Luc, der Arzt, der die Kranken kostenlos behandelt und ein gutes Wort für sie übrig hat. Da ist ein anderer Bruder, der den Analphabeten des Dorfes die Formulare der Behörden ausfüllt. Und da ist im Hintergrund der führende Kopf der Mönchsgemeinschaft, Christian, der als Theologe nach verbindenden Wegen zwischen Islam und Christentum sucht. Kein Wunder, dass die Dorfbewohner gegenüber den Mönchen große Wertschätzung zeigen und gegenseitiger Respekt herrscht.
Aber die radikalislamische Revolutionäre im Land bringen Anfang der 90er Jahre alles durcheinander. Sie wollen einen islamistischen Gottesstaat errichten und drohen jedem Ausländer mit dem Tod.
Weihnachten stehen sie zum ersten Mal vor der Klosterpforte und wollen die Mönche abtransportieren. Aber der Prior Christian zitiert Friedenssprüche aus dem Koran auf Arabisch. Da ist der Rädelsführer derart beeindruckt, dass er seine Mannen abzieht – und stattdessen einen Schwerverwundeten ins Kloster zur Behandlung bringen lässt. Ohne Zögern greift der Arzt Luc zu seinen Instrumenten.
Aber damit geraten die Mönche zwischen die Fronten. Die Regierung spielt sich als Schutzmacht des Klosters auf und fordert eindeutige Loyalität – oder den Abzug der Mönche.
Die Mönche wissen, wie lebensbedrohlich die Situation ist. Sie beraten: dableiben oder weggehen? Sie diskutieren und sprechen ihre Ängste aus. Nachts hört man aus den Zellen Schluchzen und laute Gebete. Und dann fällt die Entscheidung einstimmig: Wir bleiben.
Den Tod vor Augen, aber das gute Gefühl, sich selber treu geblieben zu sein, sprechen sie kein Wort mehr, sondern greifen zu einem Zeichen: Sie stellen die Tische in ihrem Gemeinschaftsraum zu einem Hufeisen und setzen sich dahinter. Luc stellt jedem ein Glas hin, holt zwei Flaschen Rotwein und legt eine Kassette ein …

Schwanensee

Aus dem Ballett Schwanensee von Peter Tschaikowsky: ein Schwanengesang. Die Mönche prosten sich still zu, schauen sich lange gegenseitig an. Dem einen kommen die Tränen, der andere lächelt verhalten. Tränen des Schmerzes und Tränen des Glücks vermischen sich.
Sie wissen: Das ist unser Letztes Abendmahl. Das sind die letzten Stunden zwischen Leben und Tod. Wir zeigen uns gegenseitig, was uns im Leben hält. Wir zeigen uns gegenseitig, was wir einander bedeuten. Wir sind dankbar dafür, was wir miteinander erlebt haben. Wir haben Angst, aber das Vertrauen ist größer.

Musik – plötzlich abbrechen

Noch in der Nacht stürmen die Islamisten das Kloster. Die Mönche werden verschleppt. Und ihre Spur verwischt sich im Schneegestöber und im Nebel.

Liebe Leser,
Katholiken sind es gewohnt und haben es zur Pflicht, jeden Sonntag Abendmahl zu feiern. Und oft denken wir uns nicht viel dabei. Der Film „Von Göttern und Menschen“ hat mich neu fragen lassen: Was wäre das, wenn Menschen bei der Feier des Abendmahls wirklich das spüren könnten: Wir zeigen uns gegenseitig, was uns im Leben hält. Wir zeigen uns gegenseitig, was wir einander bedeuten. Wir sind dankbar dafür, was wir miteinander erlebt haben. Wir haben Angst, aber das Vertrauen ist größer.

Fürbitten

In der Nacht vor seinem Leiden hat Jesus mit seinen Jüngern ein letztes Mahl gefeiert. Herr, unser Gott, wir bitten dich:

- für alle, die treu zu ihrem Gewissen stehen, auch wenn sie selbst darunter leiden müssen

- für alle, die ihre Macht missbrauchen und die Menschenrechte mit Füßen treten

- für alle, die Woche für Woche Eucharistie feiern und das Erlebnis von Gemeinschaft und Stärkung für ihr Leben erhoffen

- für alle, die keinen Zugang mehr haben zur Feier des Abendmahles und seiner Bedeutung

- für unsere Toten, für die wir die Erfüllung ihrer Lebenssehnsucht bei dir erhoffen


Pfarrer Stefan Mai

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