Die Stunde des Mittagsdämons

Predigt zum 3. Fastensonntag (Joh 4,5-42)

Wenn Theologen zu einer Tagung zusammen sind, und das Seminar oder der Vortrag gleich nach dem Mittagessen weitergeht, dann sprechen sie gerne von der Stunde des Mittagsdämons: Müdigkeit, keine Lust zuzuhören oder mitzudenken, eigentlich möchte man jetzt lieber woanders sein, man hat einfach keinen Geist, im Bauch das Gefühl von Überdruss. Irgendwie ist man sich selber nicht gut.

Dieses Gefühl der Lustlosigkeit oder Trägheit nannten die alten Wüstenmönche die „Akedia“ und zählten sie zu den sieben Hauptsünden. Der Wüstenmönch Evagriius Ponticus schildert im 4. Jh. die Akedia aus seinem Mönchsalltag so:
Da ist ein Mönch in seiner Zelle und liest die Bibel. Dann schimpft er, dass das Licht nicht hell genug ist. Außerdem ist er schläfrig. Er nimmt die Bibel als Kissen. Aber er schläft nicht gut darauf, weil es hart ist. Er steht auf, schaut zum Fenster hinaus, ob nicht ein Mitbruder kommt, um ihn zu besuchen. Dann beschwert er sich über die bösen Mitbrüder. Er geht wieder in seine Zelle, doch dann regt er sich auf, dass es überall feucht ist. Schließlich juckt das Mönchskleid. Am liebsten möchte er aus der Haut fahren.

Kennen Sie dieses Gefühl aus Ihrem Alltag auch?

Da ist es Samstag. Er bummelt lustlos in der Wohnung herum, liest Zeitung und schimpft über den Inhalt. Es ist ihm zu warm. Dann geht er hinaus, aber da regt ihn das Wetter auf. Er geht in die Küche, schaut zu, was die Frau kocht und hat da überall etwas auszusetzen. Miese Stimmung.
Eigentlich hat sie heute ihren freien Tag. Der Mann ist auf der Arbeit, die Kinder in der Schule. Schon wieder zu putzen hat sie keine Lust. Da geht sie zum Bummeln in die Stadt - auch da immer dasselbe, geht wieder heim. Sie könnte eine Freundin besuchen, aber was soll sie dort? Sie nimmt ein Buch,aber das ist ihr zu langweilig. Und der Tag kommt ihr vor wie 50 Stunden. Sie ist niedergeschlagen.

Dieses Gefühl der Lustlosigkeit und Leere fürchten wir wie den Teufel. Und meist kennen wir nur ein Gegenmittel: Aktivität dagegen, bloß nicht diese Leere zulassen.

Im heutigen Evangelium wird auch von der Stunde des Mittagsdämons erzählt. Da heißt es: „Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde.“
Die sechste Stunde, das heißt: es ist mittags um Zwölf. Im Orient steht da die Sonne am höchsten und sticht gnadenlos. Jesus ist müde und kaputt. Und setzt sich einfach hin. Und wartet. Er tut nichts, missioniert nicht und hat keine Pläne im Kopf.
Da kommt zufällig eine Frau vorbei. Was tut sie um diese Zeit, wo eigentlich niemand im Orient zum Brunnen läuft? Läuft sie vor sich selbst davon? Leidet sie unter dem Dämon der Lebensmitte? Enttäuscht von den Beziehungen, unzufrieden mit ihrem Leben und doch keine Lust und Kraft, etwas zu ändern.
Aber siehe da: Aus einer zufälligen Begegnung wird Verwunderung, Interesse, Sehnsucht, Offenheit, Vertrauen. Neues bricht auf.

Diese Begegnung zur Zeit des Mittagsdämons fragt mich:
Müssen wir vielleicht im Leben einfach dieses Gefühl der Lustlosigkeit aushalten, ohne uns gleich wieder abzulenken? Müssen wir es uns vielleicht manchmal sogar zumuten, faul vorzukommen, etwas laufen zu lassen, nicht sofort gleich wieder zu planen und das nächste in Angriff zu nehmen. Vielleicht bereiten gerade diese Stunden des Lebens den Boden dafür, dass wir offen sind für andere und für Neues, das wir so noch nicht im Blick hatten?


Pfarrer Stefan Mai

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