Im richtigen Augenblick Farbe bekennen

Rundfunkgottesdienst am 20. März 2011 in Oberschwarzach

Wenn wir nach der Art des Politbarometers in Oberschwarzach eine Umfrage starten würden, welchen Beliebtheitswert die Seelsorger haben, die seit den 30er Jahren hier im Ort Pfarrer waren – eines wäre klar: Pfarrer Georg Häfner, der am 15. Mai selig gesprochen wird, würde in der Beleibtheitsskala nicht vorne stehen, sondern eher hinten rangieren.
Beliebt war er nicht. Georg Häfner war für die Menschen unnahbar. Von sich aus ging er nicht groß auf Menschen zu. Er hinterließ eher den Eindruck einer strengen Autoritätsperson. Leutselig und kontaktfreudig, eigentlich ein großes Gütesiegel eines Dorfpfarrers in unserer fränkischen Landschaft, das war er nicht. Er hatte kein großes Interesse, von sich aus mit Menschen ins Gespräch zu kommen, einfach mit ihnen über Gott und die Welt zu plaudern, sein Platz war nicht an Wirthaus- und Festtagstischen. Kinder hatten eher Angst vor dem Mann in der Soutane und den scharf geschnittenen Gesichtszügen. So manches Mal wurden sie von ihm verscheucht, wenn sie im Schlosshof beim Spielen lärmten und johlten. Spaß verstand er nicht viel.
Pfarrer Georg Häfner war im Dorf eher kontaktarm und nicht gerade zugänglich. Er hatte nichts an sich, was ihm eine gewisse Popularität eingebracht hätte. Einen natürlichen Charme und einen guten Draht zu den Leuten hatte er nicht. Den alten Oberschwarzachern ist Pfarrer Häfner als ein Mensch in Erinnerung, der kaum gelacht hat und auch keinen Spaß verstand. So kollidierte er immer wieder mit einigen Gruppen. Die Eltern der Kommunionkinder verstanden es nicht, dass es der Würde des Erstkommuniontages einen Abbruch tun sollte, wenn sie nach alter dörflicher Sitte schon vor der kirchlichen Feier die sogenannten Bündel, das heißt die Kuchenpakete, an die Nachbarn und Verwandten austeilten. Dies machte Pfarrer Häfner jedoch so wütend, dass er am Weißen Sonntag nicht selbst den Gottesdienst hielt, sondern seinen Kaplan schickte und die Glocken nicht läuten ließ. Schlugen Jugendliche einmal mit einem Bierfässle über die Stränge, empörte er sich in Predigten heftig darüber und setze dann gleich Sühnegottesdienste an.
Aber auch das blieb den Oberschwarzachern nicht verborgen: Ihr Pfarrer war ein geistlicher Mensch, ein Mann des Gebetes. Selbstverständlich war für ihn die tägliche Absolvierung des Breviergebetes, der tägliche Gottesdienst, der tägliche Rosenkranz, die tägliche Geistliche Lesung, die tägliche „Besuchung“, wie er das stille Gebet vor dem Allerheiligsten in der Pfarrkirche nannte. Was er selbst tagtäglich übte und als großen Schatz und als Lebenshilfe empfand, das wollte er auch an die Gläubigen seiner Gemeinde weitergeben.
Und auch das blieb nicht unbemerkt: Dieser Mann hatte feste Prinzipien. Das Psalmwort, das er sich als Primizspruch gewählt hatte, war nicht einfach so dahergesagt: „Mache meinen Wandel standhaft auf deinen Wegen, o Herr, dass meine Tritte nicht wanken!“ Standhaft blieb er bei seinem Gruß „Grüß Gott!“, auch wenn es von überallher „Heil Hitler!“ schallte. Stets grüßte er Lehrer und Schüler bewusst mit diesem Gruß – und das brachte ihm Schulverbot ein. Doch Häfner ließ sich nicht beugen. Im Kirchturm ließ er ein Zimmer einrichten und gab dort seinen Kommunionkindern Unterricht. Wie ein Bollwerk stand er gegen die Propagandasprüche der Nazis da und verweigerte Gefolgschaft. Ja, er reizte die Parteigenossen bis aufs Blut, als er bei der Beerdigung eines ihrer Parteifreunde bekannt gab, dieser hätte die Krankensalbung empfangen, nachdem er seine standesamtlich geschlossene Zweitehe für ungültig erklärt habe. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Wenige Wochen später wurde er ins Gestapo-Gefängnis nach Würzburg eingeliefert und von dort ins KZ nach Dachau gebracht.
Jetzt beginnt eine andere Zeit des Georg Häfner. Was vorher ein wenig verschroben schien, was als frömmelnd angesehen wurde, das brachte ihm im KZ die Bewunderung seiner Mitgefangenen im Priesterblock ein: Während andere in ihrem Zorn über die Nazis herziehen, lässt Häfner sich in seinem Gottvertrauen nicht beirren: „Der liebe Gott macht es schon recht … nichts ist umsonst – tragen wir alles Leid in Gottes Namen … was hat der Heiland gelitten. Beten wir den Rosenkranz!“ Solche Sätze sind bei den Mitgefangenen hängen geblieben. Durch die Lagerordnung ließ Pfarrer Häfner seine eigene Gebetsordnung nicht durcheinanderbringen: egal ob es auf dem Weg zur Arbeit auf die Plantage ging, oder es bei der Arbeit war, und selbst wenn man ihn zur Strafe bei Kälte und Regen auf den Appellplatz stellte – Häfner betete, auch wenn er von den NS-Leute hämisch verspottet wurde. Sein strenges, fast klösterliches Gebetsleben – im KZ wirkte das wie offener Widerstand gegen eine Zwangsherrschaft.
Liebe Leser,
das Leben des Pfarrer Häfner gibt mir zu denken: Nicht was sich die Leute von ihrem Dorfpfarrer gewünscht hätten und was ihn in Oberschwarzach beliebt gemacht hätte, nicht das hat ihm im KZ die Widerstandskraft bis zum Märtyrertod gegeben, sondern das Sperrige an ihm, das, was bei den Leute nicht gut angekommen ist, was für die Dorfleute eckig und kantig an ihm war, das hat ihm das eigentliche Rückgrat gestärkt.
Das wirft in mir die Frage auf: Vielleicht gilt Ähnliches für mich selbst. Vielleicht sind es gerade die sperrigen Seiten an mir, das, was nicht so gut ankommt, was nicht gleich verstanden und mit Beifall bedacht wird, vielleicht sind es gerade diese Seiten, die in einem entscheidenden Moment oder in einer schwierigen Lebensphase mir Rückhalt und die Kraft zum Durchhalten geben.


Pfarrer Stefan Mai

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