Christliche Flower-Power

Predigt zum 8. Sonntag im Jahreskreis (Mt 6,24-34)

„Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen“ - das ist keine Anweisung für den Biologieunterricht. Mit diesen Worten empfiehlt uns Jesus die Blumen als Lehrmeister. Der Blick auf die Blumen des Feldes soll uns vor allzu ängstlicher und übertriebener Sorge warnen, zu mehr Gelassenheit animieren und Zuversicht und Gottvertrauen in uns stärken.
Der Maler und Schriftsteller Heinz Hector hat unter der Überschrift „Lernen von Pflanzen“ in einem Gedicht diesen Ratschlag von Jesus aufgegriffen. In einem 8-Punkte-Programm gibt er folgende Lebensratschläge:

Lernen von den Pflanzen,
was den Menschen not tut:
Aus unsichtbaren Tiefen Kräfte schöpfen.
Sich dem Licht zuwenden.
Werden in Allmählichkeit.
Nichts hervorbringen, was nicht darinnen ist.
Bleiben und blühen.
Sich im Wind wiegen, doch verwurzelt sein.
Seine Früchte verschenken.
Gewiss sein, dass die Last des Schnees vergehen wird.


1. Aus unsichtbaren Tiefen Kräfte schöpfen.

Wir wissen, wie schnell unser Leben in Oberfächlichkeit dahinplätschern kann. Wir wissen, wie schnell wir außer Atem kommen. Im Blick auf die Pflanzen rät Heinz Hector: Geh in die Tiefe. Schöpfe aus unsichtbaren Tiefen Kräfte. Was sind meine Kraftquellen? Ein schönes Gedicht? Verlässliches Wohlwollen von Menschen? Ein Gottesdienst, in dem mich Gesang, schöne Musik, ermutigende Worte aufatmen und zur Ruhe kommen lassen?

2. Sich dem Licht zuwenden.

Wie schnell fixieren wir uns auf Negatives, sehen schwarz und kriteln an anderen herum. Sich wie die Pflanzen dem Licht zuwenden, schönen Dingen ins Auge sehen, einmal ganz bewusst die positiven Seiten an Menschen entdecken. Einmal beobachten, wieviele Menschen mich am Tag durch einen freundlichen Blick oder ein Lächeln beschenken.

3.Werden in Allmählichkeit.

Tempo heißen bei uns schon seit langem die Taschentücher. In Großstädten gehen die Menschen schon eineinhalb Mal so schnell wie in abgelegenen Gebirgsdörfern. Wie oft ertappe ich mich dabei, dass ich zu mir sage: Jetzt machst du das noch schnell. Die Pflanzen leben mir das Lob der Langsamkeit, der geduldigen Allmählichkeit vor. Von diesem Lebensprinzip kann ich mich nur infizieren lassen, wenn ich mir bewusst mache, wie vieles in unserem Leben einfach wächst und wird, ohne dass wir es machen. Wie vieles wir nicht unserer Leistung verdanken, sondern als Geschenk empfangen.

4. Nichts hervorbringen, was nicht darinnen ist.

Oft überfordern wir uns. Wollen uns zu Dingen antreiben, die einfach eine Schuhnummer zu groß sind. Grenzen anerkennen, sich auch einmal zufrieden geben mit dem, was wir sind und haben. Und keine Mogelpackung werden, die mehr vortäuscht als wirklich drinnen ist. Zu Ehrlichkeit und Echtheit, zu Übereinstimmung von Reden und Handeln lehrt uns ein Blick in die Pflanzenwelt.

5. Bleiben und blühen.

Diese Lektion illustriert gut ein chinesisches Sprichwort: „Ich bat den Mandelbaum, erzähle mir von Gott, da fing er an zu blühen.“ Wenn man das auch von uns sagen könnte: Ihr erzählt von Gott, indem ihr zur Freude der Menschen die Talente entfaltet, die in euch schlummern.

6.Sich im Wind wiegen, doch verwurzelt sein.

zu einem gesunden Leben gehört beides: einen festen Stand haben - und doch beweglich bleiben; auf neue Situationen reagieren können, ohne auf bewährte Prinzipien zu verzichten.

7. Seine Früchte verschenken.

Der Maßstab, an dem unser Leben gemessen wird, ist unser Verhalten dem Menschen gegenüber. Nicht danach, was wir gehamstert haben, werden wir einmal gefragt werden, sondern allein danach, was wir zum Wohl einer menschlicheren Welt beigetragen haben. Aber wie leicht vergessen wir die alte Weisheit: Seine Freude in der Freude des anderen finden, das ist der Schlüssel zum Glück.

8. Gewiss sein, dass die Last des Schnees vergehen wird.

Das wäre doch das Markenzeichen unseres christlichen Glaubens, die Hoffnung, dass nicht das Belastende und Niederdrückende die Oberhand behält, dass nicht Kälte und Tod das letzte Wort haben, sondern das Leben.

Liebe Leser,
„Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen“, rät Jesus. Vielleicht merken wir uns dazu den einen oder anderen Punkt aus dem 8-Punkte-Programm der Pflanzenkundelektion:

Lernen von den Pflanzen,
was den Menschen not tut:
Aus unsichtbaren Tiefen Kräfte schöpfen.
Sich dem Licht zuwenden.
Werden in Allmählichkeit.
Nichts hervorbringen, was nicht darinnen ist.
Bleiben und blühen.
Sich im Wind wiegen, doch verwurzelt sein.
Seine Früchte verschenken.
Gewiss sein, dass die Last des Schnees vergehen wird.


(Die Anregung zur Predigt verdanke ich Wolfgang Raible, Anzeiger für die Seelsorge, Nr 2 2011, S.28)


Pfarrer Stefan Mai

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