Schmerzlichen Glückwunsch!

Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis (Mt 5,1-12)

Einleitung

Irgendwie haben wir das Gefühl: Wenn es uns gut geht, wenn wir Schönes erleben und glücklich sind, dann fällt es uns leichter an Gott zu glauben. Irgendwie glauben wir: Wenn wir das große Glück im Leben finden würden, dann hätten wir auch Gott gefunden.
Im heutigen Evangelium hören wir von einem Glücksucher, der Gott gerade dort finden will, wo wir es nicht für möglich halten oder nicht vermuten.

Predigt

„Schmerzlichen Glückwunsch!" – unter diesem Titel hat vor einiger Zeit ein Kabarett sein neues Programm angekündigt. Ein eigenartiger Titel: „Schmerzlichen Glückwunsch!" Ich weiß nicht, ob Sie sich auf Anhieb unter dieser paradoxen Wort-Kombination etwas vorstellen können – mich hat sie neugierig gemacht. In den einzelnen Sketchen und Nummern ging es jeweils um neue Errungenschaften unserer Zeit, die viel versprechen – aber am Ende einem das Leben schwer machen. Immer waren es Dinge, die auf den ersten Blick wie Fortschritte aussahen, die sich aber bei näherem Hinschauen als Rückschritte entpuppten:
Staunen erregend, die Entdeckung der Atomenergie, aber ist die ungeklärte Frage der Wiederaufbereitung nicht zu einer Zeitbombe geworden, die im Untergrund tickt? Kaum zu glauben, der rasante wirtschaftlich Aufschwung und Wohlstand nach dem Krieg, aber hat er nicht in das Chaos der Zerstörung eines gesunden Weltklimas geführt? Welch technische Wunderwerke: immer schnellere Telekommunikation und immer leistungsstärkere Computer, aber wird der Mensch auf Dauer die Beschleunigung verkraften können, die dadurch entstanden ist? Das Gefühl, ständig von nicht beantworteten Mails gejagt zu werden?
„Schmerzlichen Glückwunsch" – sagte das Kabarett. In jedem Glückwunsch, dass wir's so weit gebracht haben, klang immer schon mit: schmerzlich, dass es so weit gekommen ist. In jeder Gratulation zu unseren Leistungen konnte man schon den Haken entdecken. Jeder Glückwunsch war also bei genauem Hinhören eigentlich ein „Herzliches Beileid!"
„Herzlichen Glückwunsch“ – so müssten wir die Seligpreisungen Jesu wörtlich übersetzen: Herzlichen Glückwunsch, ihr Armen im Geiste, herzlichen Glückwunsch, ihr Traurigen, ihr Gewaltlosen, ihr Hungrigen! Herzlichen Glückwunsch, ihr Verfolgten!
Ehrlich gesagt: Das tut weh! „Herzliches Beileid!“ wäre da angebrachter. „Herzlichen Glückwunsch, ihr Verfolgten!“ Ist das nicht Hohn und Spott? Jesus ein schlechter Kabarettist oder gar ein Masochist?
Und trotzdem behaupte ich genau das Gegenteil: Mit seinen Glückwünschen zeigt sich Jesus als Querdenker und als ein weitsichtiger Kopf, der das Leben beobachtet hat, der Haltungen auf Nachhaltigkeit prüft. Er hält nichts von einer billigen Werbung vom schnellen Glück. Er schlägt Haltungen vor, die nicht einfach zu leben sind, aber auf Dauer glücklich machen, auch wenn es auf den ersten Blick so klingt, als wäre man aus dem Land des Glücks ausgeschlossen.
„Herzlichen Glückwunsch, ihr Trauernden; denn ihr werdet getröstet werden.“ Natürlich ist es schrecklich, einen geliebten Menschen zu verlieren. Natürlich tut Trauer weh. Natürlich reißt sie einen manchmal fast in den Abgrund. Aber nur wer solche Trauer zulässt und sich nicht durch Ablenkungsmanöver eine glücklichere Scheinwelt vorgaukelt, wird mit der Zeit auch wieder Fuß im Leben fassen und neues Vertrauen ins Leben gewinnen, eben: wirklich getröstet werden.
„Herzlichen Glückwunsch, wenn ihr um der Gerechtigkeit willen verfolgt werdet!“ Wer möchte schon wegen seiner Einstellung diffamiert und schikaniert werden? Und doch waren es gerade diese Frauen und Männer in der Weltgeschichte, die mit ihrem Rückgrat viel mehr erreicht haben als alle, die um der Karriere willen feige gebuckelt oder aus Machtgier nach unten getreten haben.
„Herzlichen Glückwunsch, ihr Armen im Geist!“ Man muss genau hinhören. Da wird nicht die Armut an sich glorifiziert. Da werden Menschen glücklich gepriesen, die sich nicht größer machen als sie sind. Alle, die bescheiden bleiben – vor den Menschen und vor Gott. Alle, die nicht mit jedem Mittel darum kämpfen, groß rauszukommen, sondern die das Ihre tun und sich an den Erfolgen der anderen freuen können. Jesus sagt: Das macht wirklich glücklich und zufrieden.
Liebe Leser, die „schmerzlichen Glückwünsche“ Jesu einmal so betrachtet – muss man da nicht ehrlich sagen: Das sind bedenkenswerte Wege zu einer menschlicheren und gerechteren Welt! Und auch zu persönlichem Glück auf Dauer?

Fürbittgebet

Orgel/Gemeinde: Selig seid ihr (1. Strophe)

Orgel spielt leise weiter – dabei wird vom Lektor/Lektorin folgendes Gebet gesprochen:
Gott, lass mich dich finden
in meinen Enttäuschungen,
in meinen unerfüllten Erwartungen.

Lass mich spüren:
Du bist da, wenn ich enttäuscht bin,
wenn ich etwas umsonst erhofft,
vergebens erwartet und ersehnt hatte.

Lass mich spüren:
Du erfüllst mich genau dann,
schenkst mir genau dann wieder Sinn
und neue Ausrichtung,
neue Perspektive.

Orgel/Gemeinde: Selig seid ihr (restl. Strophen)


Pfarrer Stefan Mai

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