Der hat einen Geist...

Predigt zum 2. Sonntag im Jahreskreis (Joh 1,29-34)

Wenn meine Mutter von einem Menschen sagt: „Mensch, der hat einen Geist!“, dann meint sie: Da kniet sich einer voller Begeisterung in seine Sache hinein, mobilisiert ungeheure Kräfte. Nichts ist ihm zu viel, nichts zu schwer. Da hat ein Mensch Ideen und bringt Dinge fertig, die man ihm gar nicht zugetraut hätte. Und macht das mit einer großen Freude und einer spielenden Leichtigkeit.

Zu einer solchen Lebenseinstellung sind Menschen meist fähig, wenn sie etwas Neues beginnen, eine neue Arbeitsstelle antreten, neue Lebenspläne schmieden. Sie haben Ideen, die beflügeln und knien sich in die angenommenen Aufgaben rein, sind sich für nichts zu schade und fragen nicht nach Stunden und Kräfteverschleiß.

Aber auch das kennen wir: Wie schnell erlahmt die Anfangsbegeisterung. Wie schnell erweist sich der Wille, die Welt umzukrempeln als Strohfeuer, wie schnell hat einer sein Pulver verschossen. Anstatt immer mehr an Erfahrung zu gewinnen und zu einer immer besseren Form aufzulaufen, geht langsam aber sicher die Puste aus. Anstatt immer mehr Spaß und Freude an der Arbeit zu haben wird der Einsatz und die Energie immer weniger. Anstatt mit den Jahren an Tiefe zu gewinnen wird die Einstellung immer oberflächlicher. Anstatt mit Begeisterung am Ball bleiben geht einem die Luft aus.

Auf diesem Hintergrund unserer Erfahrung bringt mich das heutige Evangelium zum Nachdenken. Es erzählt auch von einem großen Anfang, vom Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu. Da erfahren wir von Johannes dem Täufer, woran er diesen Jesus unter den vielen Menschen, die zu ihm kommen, erkennt: „Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem heiligen Geist tauft.“ Das Kennzeichen des erwarteten Stärkeren ist nicht nur, dass der Geist sich auf diesen Mann niederlässt, sondern auf ihm bleibt. Das Gütesiegel dieses Jesus ist die Beständigkeit, die stetige Verbindung mit Gott, das „Dran-Bleiben“ an ihm und am eigenen Auftrag.

Interessant, wie das Johannesevangelium weitergeht. Im heutigen Evangelium macht Johannes seine Jünger auf diesen Jesus, auf den der Geist herabkommt und bleibt, aufmerksam. Und diese Jünger werden neugierig. Und gleich im Anschluss gehen zwei der Jünger auf diesen Jesus zu und stellen ihm Fragen. Und der lädt sie ein: Kommt und seht! Sie lassen die Vergangenheit mit ihrem alten Lehrer Johannes hinter sich und beginnen voller Interesse ein neues Lebenskapitel. Sie gehen mit Jesus und dann wieder dieses Wort: Und sie blieben jenen Tag bei ihm.

Liebe Leser,
mit dieser Erzählung gleich am Anfang des Johannesevangeliums spricht der Evangelist Johannes den Wunsch aus: Mögen alle, die von diesem Jesus angerührt werden die Begeisterung für ihn spüren. Und möge diese Begeisterung bleiben.


Pfarrer Stefan Mai

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