O du fröhliche

Predigt zum Weihnachtsfest 2010

Einleitung

Merry Christmas – Fröhliche Weihnachten – Joyeux Noël! Immer werden die Weihnachtswünsche mit Fröhlichkeit verbunden. Auch eines unserer bekanntesten Weihnachtslieder besingt die Fröhlichkeit: „O du fröhliche!“ Aber Vorsicht! Wer die Geschichte des Liedes kennt, der spürt schnell: Da ist „Fröhlichkeit“ mehr als nur ein bisschen Spaß.

Predigt

Für uns Katholiken gehört das Lied „Stille Nacht“ zum Heiligen Abend, „O du fröhliche“ ist das Lied des ersten Weihnachtsfeiertages. Die rührende Geschichte zu diesem Lied hat sich vor bald 200 Jahren zugetragen, zu der Zeit, als Napoleon ganz Europa mit Krieg überzog. Soldaten aus aller Herren Länder schwadronierten über Stadt und Land – auch durch das verträumte Weimar. Männer und Frauen irrten in den Straßen umher. Dazwischen viele Kinder. Heimatlos und brotlos lebten sie von dem, was sie sich erbettelten. Ängstliche und verzweifelte Gesichter, auch zur Weihnachtszeit.
In Weimar lebte der Ratsherr Johannes Falk. Er sorgte sich nicht so sehr um die hohe Politik. Für ihn galt es, die unerträgliche Not zu lindern, vor allem die der Kinder. Erst vor wenigen Jahren waren ihm vier seiner sieben Kinder an Typhus gestorben, zwei Buben und zwei Mädchen, innerhalb eines einzigen Monats. Seitdem sorgte er für Waisen- und Flüchtlingskinder. Zuerst bei sich zu Hause, später in einem eigenen Heim, seinem „Lutherhof“. Hier erhielten seine Schützlinge nicht nur Heimat. Falk versuchte, sie auch religiös zu prägen.
Eines Abends klopfte eine Frau beim ihm an die Tür. Sie wusste: Der Herr Rat hat ein gutes Herz für Kinder. An der Hand hatte sie einen Buben, so um die 10 Jahre alt. Halb verhungert, halb erfroren hatte sie ihn aufgelesen. Ob der Herr Rat ihn nicht bei sich aufnehmen könne?
Der Junge verstand kein Wort deutsch. Ist er Franzose? Oder Russe? Oder Italiener? Da auf einmal leuchtet sein Gesicht auf. Ja, er ist Italiener. Mehr konnte der Herr Rat aus dem Leben des Jungen nicht erfahren, als dass er wohl aus Palermo in Sizilien stammte. Falk nahm ihn auf in sein Haus.
Doch der Junge wurde schwer krank. Während die anderen Kinder in den Tagen vor Heiligabend fröhlich sangen, lag er mit hohem Fieber im Bett. Eines Tages begann er ganz leise vor sich hin zu singen: „O sanctissima, o piissima, dulcis virgo Maria“ – ein sizilianisches Marienlied. Immer wieder stimmte er diese schöne Melodie an. Die anderen Kinder konnten sie schon mitsummen.
Dann stirbt der kleine Junge, kurz vor dem Fest. Aber seine Melodie begleitete alle im Hause weiter, auch wenn ihnen zum Heulen war.
Da dichtete Johannes Falk einen deutschen Text auf die sizilianischen Noten, ein Weihnachtslied für seine Waisenkinder. „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!“
Dieses Lied wurde zum Weihnachtsgeschenk des kleinen unbekannten Sizilianers, ein Lied, entstanden im Schatten des Todes.
Ein kleiner Bub, der kein Deutsch konnte, erinnert sich im Sterben an eine Melodie, die er in seiner Heimat bei den sizilianischen Fischern gelernt hat. Sie war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Und sie wurde ihm zum Halt, als er im Fieberdelirium dalag: mutterseelenallein in einem fremden Land, in verworrenen Verhältnissen, wo er sich nicht mehr auskannte, in einer Umgebung, in der ihn niemand verstand.
Liebe Leser,
Johannes Falk, der Dichter des Liedes „O du fröhliche“, wollte in Waisenhaus heimatlosen Kindern Heimat schenken. Der sizilianische Bub, der im Sterben das Heimatlied summt, sagt ihm: Was du machst, ist das Wichtigste, was du einem Menschen für sein Leben mitgeben kannst: Heimat als Geborgenheit erleben lassen – und eine geistige Heimat mit auf den Weg geben, die man immer in sich trägt und die man braucht, wenn es ganz schwer wird: Lieder, Gebete, gute Worte.


Pfarrer Stefan Mai

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