Wenn mir die Hände gebunden sind …

Predigt zu Mt 11,2-6 (A/Adv 3)

Einleitung

Und erstens kommt es anders – zweitens als man denkt. So – etwas flapsig – das Sprichwort. Die Volksweisheit rät uns: Sei vorsichtig mit deinen großen Plänen! Es kann immer etwas dazwischenkommen. Wir wissen das alle.
Aber sind wir gewappnet, wenn etwas dazwischenkommt? Haben wir Leitfiguren, an denen wir uns dann orientieren können?
Vielleicht könnte Johannes der Täufer so eine Leitfigur sein …

Predigt

Stellen Sie sich vor: Sie haben die ganze Kraft Ihres Lebens für einen großen Traum einsetzt. Sie haben alles gegeben. Sie waren sich ganz sicher: Das ist es. Darauf kommt es an.
Und dann: Dann wird alles mit einem Mal zerschlagen. Alles aus und vorbei. Sie werden kaltgestellt. Ihnen sind die Hände gebunden. Sie können nicht mehr agieren. Nur noch über sich ergehen lassen.
So erging es Johannes dem Täufer. Das Matthäusevangelium erzählt: Er hat den Weg gebahnt für diesen Jesus. Er fiebert nach dieser neuen Zeit. Er selbst „bereitet die Bahn“. Seine ganze Kraft hat er dafür eingesetzt, neue Spuren zu legen. Und das mit aller Konsequenz, mit einem großen Anspruch an sich selbst und an die anderen.
Und dann: Mit einem Schlag ist alles aus. Er wird gefangen gesetzt von Herodes Antipas. Einfach abgeräumt. Aus dem Verkehr gezogen. Die Hände gebunden. Er kann nichts mehr machen. Aus der Traum. Alles umsonst?
Machen wir uns nichts vor: Für jeden von uns kommt dieser Tag, wo einem die Hände gebunden werden. Wo man zur Passivität verurteilt wird. Es muss kein Herodes Antipas sein. Es reicht schon das Misstrauen eines Vorgesetzten. Es reicht schon ein Blamiert-Werden. Es reicht schon eine schwere Krankheit. Es reicht schon ein beruflicher Rückschlag, ein familiäre Krise: Aus der Traum! Nichts mehr zu machen. Buchstäblich am Boden. Schachmatt gesetzt. Dann steht die Frage da: Umsonst abgerackert, alles umsonst investiert?
Johannes im Kerker, er weiß genau, wo das enden wird. Dass es an einem Geburtstagsfest sein wird und eine junge Dame seinen Kopf fordert, konnte er nicht ahnen. Aber dass er da nicht mehr lebend raus kommt, das war klar.
Und was macht er? Lässt er sich hängen? Bläst Trübsal? Hadert mit seinem Gott? Verflucht seinen idealistischen Einsatz?
Nein, nichts davon. Er bleibt seinem Traum treu. Er ist sich scheinbar ganz sicher, dass nichts umsonst war: kein Wort umsonst, keine Kraftanstrengung umsonst, keine Hoffnung umsonst. Mit gebundenen Händen bleibt er auf der Lauer, spitzt die Ohren, bleibt wachsam und hellhörig, ist daran interessiert, wie all das, was er angebahnt hat, weitergeht – und schickt seine Boten mit der Frage aus: Ist es soweit? Kommt die Wende? Tritt die Veränderung ein? Beginnt das Neue? Wird alles anders?
Und das Evangelium erzählt: Die Boten treffen Jesus. Und sie fragen ihn im Namen des Johannes: Bist du es, der da kommen soll – oder sollen wir auf einen anderen warten? Und sie bekommen als Antwort: Ja, es ist soweit. Alles wird anders. Nichts war umsonst. Berichtet ihm: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören. Und die Botschaft von dem Mann, auf dem du deine Hoffnung gesetzt hast, bricht sich ihre Bahn.

Liebe Leser, auch mir werden einmal die Hände gebunden sein. Wie, weiß ich jetzt noch nicht. Hoffentlich habe ich dann die Spannkraft eines Johannes, wenigstens ein bisschen davon. Hoffentlich ziehe ich mich dann nicht in einen Schmollwinkel zurück, hoffentlich schimpfe ich dann nicht nur über die böse Welt und die Undankbarkeit der Menschen, hoffentlich lasse ich mich dann nicht einfach hängen, bemitleide mich selbst und blase Trübsal. Sondern hoffentlich kann ich – im Blick auf diesen Johannes – dann noch mit Neugier beobachten, was um mich herum geschieht. Und hoffentlich darf ich erleben, dass etwas von dem weitergeht, wofür ich mich in meinem Leben Herzblut gegeben habe.

Fürbitten

Viele sind durch Schicksalsschläge und schlechte Erfahrungen wie blind geworden. Sie sehen für sich keinen Weg mehr und können nichts Gutes mehr in ihrem Leben entdecken. Für sie bitten wir:

Orgel – GL 103,1: Tau aus Himmelshöhn, Heil um das wir flehn, Herr erbarme dich

Viele sind aus Angst vor der Zukunft wie gelähmt: Sie haben den Mut verloren und fürchten sich vor jeder Veränderung.
Für sie bitten wir: ...

Viele fühlen sich ausgeschlossen aus der menschlichen Gesellschaft: Sie werden an den Rand gedrängt, gedemütigt und in ihrer Not allein gelassen.
Für sie bitten wir: ...

Viele kreisen nur noch um sich selbst und sind taub geworden für die Bitten anderer: Sie können auch deine befreiende Botschaft nicht mehr hören.
Für sie bitten wir: ...

Viele haben durch Schmerz und Trauer die Kraft zum Leben verloren und fühlen sich wie tot: Sie sind am Boden und können nicht mehr aufstehen.
Für sie bitten wir: ...


Pfarrer Stefan Mai

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