Was verstehen Sie unter einem guten Tod?

Begleitveranstaltung zur Ausstellung „der Tod hat viele Gesichter“ mit Epitaphien von Will Grimm

Texte: Pfarrer Stefan Mai
Gesänge aus der gregorianische Totenmesse: Choralschola der Stadtpfarrkirche Gerolzhofen unter Leitung von Kantor Karheinz Sauer


Introitus

1. Einleitung

Der Tod hat viele Gesichter - so lautete die Ausstellung mit Werken von Willi Grimm, die mit dem heutigen Abend am Ende des Totenmonats November, endet. Ja, der der Tod hat viele Gesichter. Er kann kommen als Erlöser, als Freund, als Engel mit einem goldenen Schlüssel. Er kann aber auch kommen als Einbrecher mitten im Leben, als Zerbrecher von Beziehungen und Lebensträumen, als unerwarteter Sensenmann. Ja der Tod hat viele Gesichter. Und keiner von uns weiß, welches Gesicht er mir einmal zeigen wird, wann, wo und wie ich sterben werde.
Und keiner weiß, welches Gesicht er dem Tod einmal zeigen wird: ein gelassenes, erschrecktes, friedvolles, schmerzverzerrtes, sehnsüchtig wartendes oder eines, das am liebsten vor ihm die Augen zumachen möchte. Ja welches Gesicht wird der Tod mir einmal zeigen und welches Gesicht werde ich ihm zeigen?

Kyrie und Tractus

2. Wie werde ich dem Tod einmal ins Gesicht schauen, so wie der Hirte in der alten Geschichte oder wie der Marabu - bildhaft steht er für einen Pfarrer - in der bissigen Kurzgeschichte von Wolfdietrich Schnurre?

Der Hirte und der Tod

Ein Hirte bewohnte eine kleine Hütte am Ende der Welt. Jeden Morgen führte er seine Herde auf eine weite Wiese, die bis an den Fluss heranreichte. Der Fluss aber bildete die Grenze zum Totenreich.
Während der Schäfer seine Tiere hütete, sah er oft dem Tod zu, wie er einen Menschen über den Fluss ins Totenreich hinüberbrachte. Die meisten Menschen sperrten sich dagegen, und der Tod hatte seine Plage mit ihnen.
Einer klammerte sich an seine Geldkiste. Aber der Tod zog ihn fort auf die Fähre. Und die Kiste polterte hinterher, bis sie im Fluss versank.
Eine Frau wurde von ihrem Mann und einer großen Kinderschar festgehalten. Aber der Tod zog sie fort, und schließlich musste die Familie sie loslassen, um nicht selbst im Wasser unterzugehen.
Auch ein Gekehrter aus der Stadt wurde herangeführt. Mit gewichtigen Worten redete er auf den Tod ein: Er stünde kurz vor einer bahnbrechenden Entdeckung, die die Welt retten könne. Und der Tod solle ihn für eine Weile verschonen, bis ... Aber der Tod hörte nicht und nahm ihn mit.
Eines Tages tippte der Tod auch dem Hirten auf die Schulter. Der sah sich um, stand auf und sagte: Ich bin bereit, lass uns gehen. Er hatte lange genug herübergeschaut in das Land des Todes. Darum hatte er auch keine Angst mehr vor dem Tod.

Der Spezialist

Ein Marabu, der zeitlebens über das Sterben nachgedacht hatt, sah sich eines Morgens unvermutet dem Tod gegenüber. Erschrocken sprang er vom Kaffeetisch auf und flatterte hinkend davon. Gutmütig hielt der Tod mit ihm Schritt. „Um Gottes willen“, krächzte der Marabu, „wo gehen wir hin?“
„Herrje“ rief der Tod; „und ich dachte, du weißt den Weg!“

Dies irae

3. Was verstehen Sie unter einem guten Tod? Ich beobachte, die heutigen Antworten auf diese Frage haben sich gegenüber der Antwort aus vergangenen Jahrhunderten stark verändert.
Beteten frühere Jahrhunderte - und noch heute steht diese Bitte in der Allerheiligenlitanei - „Vor einem plötzlichen Tode verschone uns, oh Herr“, wird heute herbeigesehnt, was die Menschen früher als größtes Übel ansahen und am meisten fürchteten. Wie oft höre ich: „Einfach tot umfallen oder „einschlafen und nicht mehr aufwachen“, nichts mehr merken, nichts mehr denken müssen, nichts mitbekommen davon. Ich frage immer nach, ist das wirklich ein guter Tod? Haben sie in Ihrer Familie schon einmal plötzliche Tode mitgemacht?
Einerseits verständlich die Angst. Keiner von uns möchte ein jahrelanges oder jahrzehntelanges Siechtum, keiner möchte an sich ein grausames Zerbrochen-Werden am eigenen Leib mitmachen. Aber das wissen wir, die Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber. Und das wissen wir auch: Der Mensch ist von Natur aus ein Flüchter und reißt gern feige aus. Und die Tendenz ist steigend, immer mehr oder nur noch an sich zu denken - und die anderen, die zurückbleiben und mit meinem plötzlichen Tod leben müssen?
Ja, welchen Tod wünschen Sie sich, was wäre für Sie ein guter Tod?

Offertorium

4. Zur Zeit als unsere Jahanneskapelle gebaut wurde und die gregorianischen Melodien bei den Totenmessen gesungen wurden, erschien eine neue Literaturgattung. Die „ars moriendi“-Literatur - Anweisungen zur Kunst des Sterbens. Auch für die mittelalterlichen Menschen war das Sterben gefürchtet und schwer, sicherlich bei der damaligen Medizin noch viel schwerer als heute. Aber sie waren nicht so „todfeige“ wie unsere Spaß- und Belustigungsgesellschaft. Sie fragten sich: Wie können wir dem Tod ins Auge sehen, wie ihm begegnen und nicht „Augen einfach zu!“.

Die ars Moriendi, die Kunst vom heilsamen Sterben, beschäftigt sich mit der lebenslangen Vorbereitung auf einen guten Tod. Der Wiener Theologe Thomas Peuntner umschreibt das Ziel seiner ars moriendi so:

„Hier hebt an die Kunst vom heilsamen Sterben, die Herr Thomas, Hofgeistlicher, auf deutsch verfasst hat. Anno domini 1434....
Es bedarf dieser zuverlässigen Seelsorge beim Ableben und leiblichen Tod eines jeden Menschen, damit er gut sterben und sich auf einen seligen Tod vorbereiten und sich dareinschicken kann...
Darum will ich hier einige Dinge vortragen, die jedermann wissen und bedenken sollte, damit wir dadurch uns selbst und unserem Nächsten in der Todesstunde wirksam helfen können und so die Kunst des heilsamen Sterbens lernen.....“


Ich möchte Ihnen nun einige Ratschläge aus diesem Büchlein von der Kunst des Sterben vorstellen. Ratschläge „anno tubak“ oder höchst aktuell? Thomas Peuntner rät:

1. Übe im Leben das Loslassen ein!
Dem Sterbenden wird empfohlen, die Sorge um all die Dinge, die er nicht loslassen zu können glaubt, Gott anzuempfehlen, der ja die höchste Weisheit sei und der sich also besser darum kümmern könne als der Mensch.
Originalton:
„Wirf ab von dir alle Sorge um die zeitlichen Güter, die du doch verlassen musst, und in vollkommenen Vertrauen befiehl dich und alles, was du hast, Gott an, der obersten Weisheit, dass er sie ordne und füge nach seinem göttlichen Wohlgefallen. Und bitte auch alle Menschen, die jetzt um dich im Kreis stehen und zu denen du ein besonderes Verhältnis hast, dass sie jetzt und nach deinem Tode Gott um deine Seligkeit bitten.“

2. Nimm den Tod an
Originalton:
„Bedenke das Urteil Gottes, das er über alle verhängt hat: Du bist Asche und musst Asche werden. Dieses Urteil musst du dir gefallen lassen, denn es ist gerecht. Davon ist keiner ausgenommen, kein Stand, keine Würde und keine Lebensumstände, es mag jemand Papst, Bischof, Kaiser, Kaiserin, König, Königin, Fürst, Fürstin, edel oder unedel, reich oder arm, jung oder alt, geistlich oder weltlich sein. Wir kommen in die Welt als Pilger, die keine bleibende Stätte haben und wir müssen wieder ausziehen und haben in der Welt keine feste Wohnung...“

3. Bedenke, was du im Leben schönes und gutes empfangen hast und sei dankbar!
Originalton:
„ Bedenke mit Andacht und großem Dank die Wohltaten, die du von Gottes Milde und Barmherzigkeit empfangen hast. Bedenke, wie er dich aus Güte erschaffen hat, wie er dich durch die hl. Taufe zum Glauben gerufen hat und dir sich selbst zu erkennen gegeben hat. Deswegen und wegen vieler anderer unzähliger Wohltaten sage ihm Dank mit Herz und Seele, mit Gemüt und Mund.“

4. Schließ mit dir selbst und anderen Frieden!
Loslassen und Annahme des Todes können nur gelingen, wenn der Sterbende keine ungelösten Probleme mehr herumträgt.
Originalton:
„Vergib von ganzem Herzen allen, die dir an deinem Leib, deiner Seele, deinem Gut, deinem Landbesitz und deinem guten Ruf Schaden zugefügt haben. Erbitte auch von Herzen Vergebung von allen Menschen, wer und wo sie auch immer seien, denen du Schaden zugefügt hast an Leib, Seele, Gut, Land und gutem Ruf...“

5. Schau der Wahrheit ins Gesicht!
Dem Kranken sollen keine falschen Hoffnungen gemacht werden. Er soll stattdessen mit der Wahrheit konfrontiert werden, wenn das letzte Stündlein herannaht.
Originalton:
„Es soll ein weiser Priester geholt werden, der den Kranken über seinen Zustand aufklärt. Er soll ihm keine falsche Hoffnungen machen auf etwaige Genesung...“

6. Ordne deine Sache beizeiten
Seine Sache zu regeln soll man nicht auf die Krankheit aufschieben, sondern bereits in gesunden Tagen vollziehen.

7. Vertrauenspersonen und liebe Menschen sind beim Sterben wichtig!
Die ars moriendi weiß, wie wichtig auch beim Sterben die Beziehungen zu Menschen sind. Aber sie betont eine heute vergessene Beziehung ganz stark, nämlich die Beziehung zu Jesus, Maria, den Heiligen und den Verstorbenen.
Originalton aus dem Gebet zu den Engeln:
Ich rufe euch an, mir beizustehen, da ich nun aus dieser Welt scheide. Behütet und beschirmt mich machtvoll und nehmt meine Seele auf in eure Gemeinschaft. Besonders Du, geliebter Engel, mein treuer Hüter, der mich seit meiner Jugendzeit behütet hat, wollest mich mit den anderen Engeln geleiten zur seligenden Schau der erhabenen Majestät meine himmlischen Vaters.

8. Den Tod als die eigentliche Vollendung sehen!
An keiner Stelle der ars moriendi wird irgendwie eine Trauer geäußert, dass es nun mit dem Leben vorbei sei. Vielmehr wird der Tod als die eigentliche Vollendung des Menschen gesehen.
Das Büchlein endet:
Originalton:
Das ist also die Kunst des heilsamen Sterbens. Sie zu kennen ist jedem Menschen von großem Nutzen. Diese Kunst verleihe uns derjenige, der am heiligen Kreuz gestorben ist, unser lieber Herr Jesus Christus, der mit dem Vater und dem hl. Geist lebt und herrscht als wahrer Gott in Ewigkeit. Amen.

Lux aeterna und Libera me

Offb 21, 1-5

In paradisum - Chorus angelorum - Ego sum resurectio


Pfarrer Stefan Mai

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