Hätten wir noch das Bedürfnis und den Mut?

Predigt zum Kirchweihsonntag

Schon als Kind hat es mich fasziniert, wenn wir manchmal am Sonntag durch die fränkischen Landschaften fuhren. Meistens ist es doch so: Man fährt auf ein Dorf zu. Und was fällt einem als erstes auf? Der Kirchturm, der zum Himmel ragt. Manchmal hat man den Eindruck, dass einem die Straßenführung direkt diesen Blick freigeben möchte. Und wie viele Menschen hatten früher, wenn sie von daheim einmal weg waren und wieder in die Nähe des Heimatdorfes kamen, bei diesem Anblick das Gefühl: So jetzt bin ich wieder daheim.

Menschen waren einmal stolz, eine Kirche im Dorf zu haben. Unter unsäglichen Opfern und Einsatz von Kraft und Zeit haben unsere Vorfahren oft über Jahre hinweg an den Kirchen gebaut. Kein Wunder, dass der Weihetag der Kirche für sie eine besonders bewegende Stunde war, an die sie sich jährlich mit dem Kirchweihfest erinnern wollten.

Wenn ich durch unsere Dörfer fahre, frage ich mich manchmal: Würden Menschen in der heutigen Zeit das Bedürfnis, die Bereitschaft und den Mut haben, für ihr Dorf noch eine Kirche zu bauen? Wären sie bereit, Geld, Zeit, und Kraft für einen Bau zu investieren, der keinen praktischen Wert, keinen finanziellen Vorteil hat? Würden sie Gründe finden, dass es einen solchen Bau für unsere Dörfer, für unsere Gesellschaft braucht?

Ich bin mir da nicht mehr sicher. Ich weiß nur: Wenn wir uns heute in unserer Kirche treffen können, zeugt das eigentlich von einem großen Luxus. Wir besitzen ein großes Gebäude, das an einem besonderen Platz steht und das ansprechend gestaltet ist. Kunstwerke zeigen, wie jede Generation das, was sie bewegt, in Bilder gefasst hat. Einfache Dorfleute leisteten sich große Künstler für ihre Altäre. Das uralte Kreuz, der gotische Sebastian unserer Kirche, ein wahrer Luxus. Aber dadurch wurde der Sinn für das Schöne geschult.

Der weite Raum unserer Kirche, der atmen lassen will, der manches Bedrückende und Einengende des Lebens vergessen lassen und einen neuen Blick auf den Alltag werfen lassen will.
Mit der Kirche haben wir einen Raum, wo man Kerzen anzünden, trauern, meditieren kann.

Wir haben einen würdigen Rahmen, um die entscheidenden Lebensereignisse zu feiern, die Höhe- und Tiefpunkte des Lebens. Generationen vor uns haben hier ihre Feste und Glücksstunden gefeiert, aber auch in Not, Tod und Schmerz hier Kraft geholt und gegenseitig Solidarität und Verbundenheit gezeigt. All dies ist wie eine geheime Kraft in dieser Kirche gespeichert und aufbewahrt.

So mancher hat mit seiner Dorfkirche seine eigene Geschichte, so mancher ist dieser Raum ans Herz gewachsen und kann manch Ereignisse und Stunden, die sie in dieser Kirche erlebt hat, nicht vergessen.

Ja der Kirchweihtag ist jedes Jahr eine Gelegenheit, wieder neu darüber nachzudenken: Was gefällt mir besonders an unserer Kirche? Was spricht mich besonders an? Was habe ich hier schon erlebt? Was würde in unserem Dorf fehlen, wenn es sie nicht gäbe?

Ich bin mir sicher: Nur wem auf solche Fragen Dinge durch den Kopf gehen – und Antworten einfallen, nur der würde Gründe finden, dass es einen solchen Bau für unsere Dörfer, für unsere Gesellschaft heute noch braucht!


Pfarrer Stefan Mai

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