Der Tod hat viele Gesichter

Vernissage zur Ausstellung mit Werken von Willi Grimm

„Des Menschen Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig.“ So lesen wir im Psalm 90.
Ganz biblisch: Mit 70 Jahren beginnt Willi Grimm, sich in seinen Figuren verstärkt mit Tod und Sterben auseinanderzusetzen.
Ich habe noch heute in meinem Notizbuch einen Text von ihm aus dieser Zeit.
Da ist zu lesen:

Bedenk, o Mensch, dass du Staub bist...“
Bedenk, o Mensch
Was wird mit dir sein ... eines Tages?
Werde ich mich aufbäumen und sterben?
Dann werde ich meinem Tod ins Gesicht sehen - eines Tages.
Bedenke, dass du leben wirst.
Schau deinem Tod ins Gesicht.
Schau deinem Gott ins Gesicht.
Er wird vor dir stehen im dunklen Tor des Todes - eines Tages.
Unsere Tage zu zählen lehre uns.
Dann gewinnen wir ein weises Herz.


Bis dahin hat Willi Grimm viele Perioden seines langen Schaffens hinter sich. Willi Grimm wird 1927 geboren. Wie sein Vater wird er Steinmetz, macht vorzeitig die Gesellenprüfung. 1945 geht er auf die Kunst- und Handwerkschule in die Bildhauerei. Es folgen von 1947 bis 1957 zehn Gesellenjahre, in denen er für verschiedene bekannte Bildhauer arbeitet: Prof. Janssen, Prof. Schießler und vor allem Julius Bausenwein, der ihm die freie Bildhauerei beibringt. 1958 legt er bei Fred Heuler und Hans Weber die Meisterprüfung ab.
Mit 31 Jahren macht er sich selbstständig und eröffnet eine eigene Werkstatt. Er gehört zu den Jungmeistern, die sich um Prof. Gustav Albert sammeln und den Gestaltungskreis Bayern gründen. Willi Grimm ernährt mit seiner Werkstatt seine Familie in Kleinrinderfeld, macht Auftragsarbeiten, gewinnt mehr und mehr große Wettbewerbe.
Viele Kirchen hat er ausgestaltet, an vielen öffentlichen Plätzen und Gebäuden sind Kunstwerke von ihm zu sehen. Zahlreiche große Ausstellungen zeigten seine Werke. Sicherlich Höhepunkte zum 70. Geburtstag die Ausstellung in der Otto Richter Halle in Würzburg und zum 80. im Kulturspeicher in Würzburg.
Für mich bleiben unvergesslich die zwei großen Ausstellungen „Engel - Boten Gottes“ und „Visionen einer Kirche“ in Schweinfurt, Heilig Geist. Wer über eine längere Zeit das Schaffen von Willi Grimm verfolgt hat, dem fällt eines auf: Willi Grimm will sich auf keiner Stufe ausruhen. Es treibt ihn voran und immer deutlicher wird erkennbar, dass Willi Grimm sich mehr und mehr von der Forderung nach äußerster Präzision löst zugunsten eines freieren lebendigeren Umgangs mit dem Material.
Mit 60 Jahren hat er etwa 20 Lehrlinge ausgebildet. Viele von ihnen sind selbstständig. Und seine drei Söhne Helmut,Kurt und Fred betreiben inzwischen erfolgreich ihre eigenen Werkstätten in Kleinrinderfeld und Volkach. Und mit einem gewissen Stolz erfüllt es ihn, dass inzwischen auch seine Enkelin Christina sich Meister nennen darf und die Familientradition der Bildhauerdynastie Grimm weiterführen wird.
Mit zunehmenden Alter widmet sich Willi Grimm nun hauptsächlich Wettbewerben und der freien Bildhauerei. Mit 65 wird man normalerweise Rentner, da beginnt Willi Grimm mit eigenen Grundierungen zu arbeiten und malt großflächige Ölbilder, experimentiert mit den verschiedensten Materialien, Ton, Glas, Eisen, arbeitet gerne mit Zufälligkeiten im Material von Fundstücken oder Abruchhölzern und nutzt sie für sein Thema aus. Eine Zeit lang dominieren kubische Formen. Er abstrahiert die Formen immer mehr. Seine Werke erinnern mich an den Kunstbegriff des Griechen Dion von Prusa aus dem 1. Jh., der einmal sagte: „Das Große an der Kunst liegt darin, dass der Künstler allmählich alles Überflüssige entfernt, bis schließlich die Idee an sich übrig bleibt“.

Dass Sie vor 25 Jahren begonnen haben, mir für diesen Kunstbegriff die Augen zu öffnen, dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar. Und dass Sie Menschen, die ihre Werke betrachten, immer ruhig, unaufdringlich und sehr bescheiden, ohne jeglichen Künstler- Allüren begegnen, das meine ich spricht für Sie als Künstler und Mensch.
Die Formen der Arbeiten von Willi Grimm haben sich in den inzwischen 83 Lebensjahren immer wieder modifiziert und geändert. Aber einem Thema ist Willi Grimm immer treu geblieben, dem Thema Mensch, dem Thema Leben. Immer wieder der Mensch, stehend, liegend, sitzend, kauernd, in Stein, aus Holz, Ton, Stahl und Bronze oder in Öl auf der Leinwand. Der Mensch in seiner Größe und Schönheit. Und der Mensch mit seinen Verletzungen, seinem Größenwahn und Verführbarkeit. Wie oft hat er die Partnerschaft und Liebe von Mann und Frau dargestellt, Schwangere, Gebärende und Sterbende.
10 Epitaphien sind im Totenmomat November hier in der Johanneskapelle zu sehen.
Schon allein der Ort ist denkwürdig. Hier in dieser Kapelle wurden Kinder getauft, um diese Kirche herum die Toten im Mittelalter beerdigt, unten im Gewölbe die sterblichen Überreste der Gerolzhöfer Vorfahren aufgeschichtet und immer wieder von den Angehörigen besucht und mit Weihwasser bespritzt. Welche Spannung liegt allein in diesem Raum. Eine größere Spannung gibt es nicht als Leben und Tod. Geburt und Sterben.

Wie mittelalterliche Grabepitaphien liegen die Epitaphien von Willi Grimm im Beinhaus unten und hier in der Kapelle. Seine Epitaphien sind aber keine Ehrendenkmäler, mit denen Menschen vor der Welt verewigt werden sollen. Die Figuren sind oft aus Abbruchhölzern gefertigt, Symbol der Vergänglichkeit. Denkmäler, die mir sagen: Denk über deine eigene Vergänglichkeit nach. Setze dich mit diesem Thema Sterben und Tod auseinander. Schau dem Tod ins Gesicht. Frag dich, wie könnte er dich einmal treffen?

Wer sich auf die Epitaphien einlässt und sich mit ihnen auseinandersetzt, den fragen sie:
Wie wird der Tod einmal auf dich zukommen:
Als Erlöser, als Räuber, als lang Erwarteter und Ersehnter, als ein freundlicher Tod im Kuss oder als einer, der mich plötzlich aus dem Leben herausreißt?
Die Epitaphien fragen:
Wird mein Sterben einmal ein Aufbäumen gegen den Tod bis zuletzt sein, ein Zerbrochen-Werden, ein Gequält und Geschunden-Werden, ein grausames Auseinandergerissen-Werden von Menschen, die zusammengehören, ein Sterben in Würde oder fast banal? Werde ich den Tod in Ruhe erwarten oder vor Angst vergehen?
Welches Gesicht wird mir der Tod einmal zeigen?
Auf all diese Fragen gibt es noch keine Antwort, genauso wie auf die Frage, wann und wo wird dich der Tod treffen.

Im Beinhaus unten hat Grimm vor dem mittelalterlichen Altarbild eine Familiengrablege installiert: Ein Ehepaar, daneben zwei Kinder. Eines, das deutet der Eisenkeil an, der von hinten in den Leib fährt, ist plötzlich mitten aus dem Leben herausgerissen worden. Dieses Epitaph fragt mich: Wo wird einmal mein Grab sein, mit welchen Menschen werde ich drinnen liegen? Werden in unserem Familiengrab überhaupt mehrere Generationen übereinander- und beieinander liegen. Die derzeitige Bestattungskultur differenziert sich immer mehr aus: Erdbestattung, Urnenmauer oder -grab, Friedwald, anonyme Bestattung. Welche werde ich einmal wählen? Wer wird mein Grab überhaupt einmal besuchen?

Hier oben der Eindruck einer Gruft. Der Raum mutet wie ein begehbares archaisches Gräberfeld an. Wie ein Gang durch die Geschichte, vorbei am Grabmal eines reichen mittelalterlichen Kaufmanns und Priesters, die sich gerne in der Nähe des Altars beerdigen ließen. Vorbei an einem Grabmal eines Königspaares, ein Bild für ein Sterben in Würde und Gelassenheit. Daneben das Epitaph eines Menschen, der sich aufbäumt trotz Schmerzen und Zerbrochenwerden bis zuletzt.
Dahinter die Epitaphien von zwei Ehepaaren, die die Frage nach der Qualität einer Beziehung stellen. Strahlt das eine Paar trotz gegenseitiger Verwundungen, angedeutet durch die Nägel im Rücken, auch im Tod noch eine untrennbare Zusammengehörigkeit und Innigkeit aus. So liegen im anderen Epitaph zwei Menschen zusammen, deren Leben miteinander ein Kampf war. Der angedeutete Hahnenkamm assoziiert fast Vergewaltigung, auf jeden Fall Über- und Unterordnung. Und auch die beiden liegen in einem Grab. Die Qualität der Beziehungen, die ich hier gelebt habe und erleben durften, werden auch beim Sterben oder Trauern um Menschen eine große Rolle spielen.

Bedenk, o Mensch
Was wird mit dir sein ... eines Tages?
Werde ich mich aufbäumen und sterben?
Dann werde ich meinem Tod ins Gesicht sehen - eines Tages.
Bedenke, dass du leben wirst.
Schau deinem Tod ins Gesicht.
Schau deinem Gott ins Gesicht.
Er wird vor dir stehen im dunklen Tor des Todes - eines Tages.
Unsere Tage zu zählen lehre uns.
Dann gewinnen wir ein weises Herz.


Mit diesen Worten von Willi Grimm wünsche ich Ihnen und allen, die diese Epitaphien in der Johanneskapelle im Monat November besuchen und vielleicht für die eine oder andere Begleitveranstaltung zu dieser Ausstellung Interesse zeigen:
Mögen diese Denk-Male zum Nachdenken anregen, Fragen in Menschen aufwerfen, ein Stück unruhig machen und sie ein Stück lebensweiser nach Hause gehen lassen. Mögen sie vielleicht auch die Frage mitnehmen: Hat der, der hier vorn als Gekreuzigter und Auferstandener auf die Toten schaut, in meinem Leben noch eine Bedeutung? Und wird er einmal in meinem Sterben eine Rolle spielen?

Des Menschen Leben währt siebzig Jahre und wenn es hochkommt, sind es achtzig.
Unsere Tage zu zählen lehre uns. Dann gewinnen wir ein weises Herz!


Pfarrer Stefan Mai

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