Heilige der Dunkelheit

Predigt an Allerheiligen

Heilige, Selige oder heiligmäßige Menschen, egal ob sie in den Heiligenkalendern stehen oder nicht, sind für viele Lichtgestalten. Ein Theologe hat sie sogar einmal „Leuchtzeichen Gottes“ genannt.
So ist der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer eine Lichtgestalt des Gewissens und der Unbeugsamkeit gegenüber einem unmenschlichen Regime.
Welch ein Vorbild, den Mund aufzumachen, wo so viele gekuscht haben und klare Worte zu sprechen, wenn es für einen gefährlich wird. Welch ein Vorbild für Menschen, die vor Angst fast vergangen sind. Wie viele Menschen haben sich in Berlin Plötzensee im Gefängnis an ihm aufgerichtet. Und da betet dieser Mann:

„In mir ist es finster,
aber bei Dir ist das Licht;
ich bin einsam, aber Du verlässt mich nicht;
ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist die Hilfe;
ich bin unruhig, aber bei Dir ist der Friede;
in mir ist Bitterkeit, aber bei Dir ist die Geduld;
ich verstehe Deine Wege nicht, aber
Du weißt den Weg für mich.“
Eine Lichtgestalt des Glaubens, in der es dunkel ist. Die nicht unerschütterlich stark und gefestigt ist, die einsam, kleinmütig, unruhig und voller Bitterkeit ist.

Eine zweite Lichtgestalt: Mutter Teresa, eine Lichtgestalt der Nächstenliebe. Zu den Lieblingsgebeten von Mutter Teresa gehörte ein Gebet des kürzlich seliggesprochenen John Henry Newman: „Jesus, strahle durch uns und sei so in uns, dass jeder Mensch, dem wir begegnen, deine Gegenwart in unseren Seelen spürt. Du bist es, der anderen durch uns leuchtet.“ Sie selbst glaubte einmal - ins Gebet versunken - Jesus selbst zu ihr sprechen hören: „Komm, sei mein Licht!“

Und doch fühlte diese Frau in sich oft eine unendliche Dunkelheit. 1985 schreibt sie in einem Brief: „Wenn ich meinen Mund aufmache, um zu Schwestern von Gott und Gottes Werk zu sprechen, gibt es ihnen Licht, Freude und Mut. Doch ich selbst bekomme nichts davon. In mir ist alles dunkel und ein Gefühl, dass ich von Gott total abgeschnitten bin.“
Und doch ist sie für Millionen von Menschen ein Leuchtturm des Glaubens.
Aber vielleicht trieb sie gerade dieses Gefühl der inneren Dunkelheit auf die Seite der Menschen, die auf der Schattenseite des Lebens und im Dunkel des Todes standen?
Und vielleicht lässt das die Leuchtkraft für Menschen um so mehr aufscheinen und für andere anziehend machen, weil sie spüren: Auch diese Frau hat gekannt, was Dunkelheit ist.
Und was gibt es Überzeugenderes als das, was Mutter Teresa auf die Frage eines Journalisten, der sie einmal gefragt hat, ob sie eine Heilige sei, geantwortet hat: „Wenn ich jemals eine Heilige werde - dann ganz gewiss eine Heilige der Dunkelheit. Ich werde fortwährend im Himmel fehlen - um für jene ein Licht anzuzünden, die auf Erden in Dunkelheit leben.“


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de