Ecclesia semper reformanda

Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis (Lesung: 2 Tim 3,14-4,2; Ev: Lk 18,1-8) zum Abschluss der Unterfränkischen Kulturtage „Junges Leben in alten Gemäuern“

Einleitung

In gotischen Minuskeln steht auf einem Pfeiler unserer Kirche: „Im Jahr des Herrn 1436 ist dieses Werk begonnen worden.“ Es wäre höchst interessant, hätten wir von der damaligen spätgotischen Kirche noch historische Bilder und würden wir sie mit dem Erscheinungsbild unseres heutigen Kirchenraumes vergleichen, wir kämen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was haben die verschieden Generationen an dieser Kirche herumgebaut, verändert, Kunstwerke hinausgeworfen, neue hineingestellt. Einen gotischen Bau barockisiert, die Empore wieder neugotisch angebaut. Und doch hat man nicht den Eindruck, dass dadurch unsere Kirche verhundst worden wäre.
Das ist doch ein Symbol dafür: Kirche verändert sich ständig.

Junges Leben in alten Gemäuern, unter diesem Titel standen die Bezirkskulturtage in Gerolzhofen. Zeichenhaft haben wir dieses Motto kirchlich mit Leben zu erfüllen versucht: Mit dem Spiel des Gerolzhöfer Welttheaters in unserem Steigerwalddom und der Church Night für junge Menschen. Ich hatte den Eindruck, dieser Versuch wurde mit großem Interesse wahrgenommen, auch wenn es harsche Gegenstimmen gab. Aber die Frage bleibt mir: Wie ernst nehmen wir es wirklich: Junges Leben in alten Gemäuern?

Predigt

Zwei Texte haben wir heute aus der heiligen Schrift gehört. Es sind zwei Texte, die in einer ungeheueren Spannung zueinander stehen. Der Lesungstext, ein eher beruhigender Text, konservativ in seiner Haltung. Der Evangeliumstext dagegen aufrührerisch mit provozierenden Parolen. Der Timotheusbrief schlägt einen beruhigenden Ton an, das Evangelium schürt und pocht auf Veränderung der Verhältnisse.
„Bleib bei dem, was du gelernt hast!“ rät der Timotheusbrief, dagegen provoziert die Witwe mit Hartnäckigkeit, ja sie zettelt damit einen Umsturz an.

Wenn ich in die kirchliche Szenerie, in unsere kirchlichen Kreise und Reihen schaue, dann entdecke ich eher die Vorliebe für den Ton des Timotheusbriefes: „Bleibe bei dem,was du von Kindheit an gelernt hast.“ Das gibt Sicherheit und Ruhe. Nur nichts verändern. Veränderung - das bringt Unruhe. Als herausragendes Beispiel dieser Haltung in unserer Kirche stellte uns Theologiestudenten Professor Rolf Zerfass immer wieder den berühmten Kardinalstaatssekretär Ottaviani vor Augen, der sich als Spruch für sein Kardinalswappen die kurzen Worte wählte: „Semper idem - Immer das Gleiche“. Die Kirche hat ihre Tradition, ihre Wahrheiten wie in einer Schatztruhe zu verstauen und sie unverändert durch die Jahrhunderte zu tragen. Sie hat ihre Lehren von Generation zu Generation unverändert weiterzugeben in immer gleichen Worten und Riten, unabhängig davon, wie Gesellschaft sich verändert, wie neue Fragen auf neue Antworten warten. Eben: Semper idem - immer das Gleiche!
Kardinal Ottaviani war der Kardinalstaatssekretär von Papst Johannes XXIII. Mit Vehemenz hat er das 2. Vatikanische Konzil zu verhindern versucht. Wie eine Backenschelle musste deshalb für ihn die Eröffnungsansprache von Johannes XXIII. wirken, in der dieser wörtlich sagte:
„In der täglichen Ausübung unseres Hirtenamtes geschieht es, dass bisweilen Stimmen solcher Personen unser Ohr betrüben, die zwar von religiösem Eifer brennen, aber nicht genügend Sinn für die rechte Beurteilung der Dinge, noch ein kluges Urteil walten lassen. Sie meinen nämlich, in den heutigen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil zu erkennen. Sie reden unablässig davon, dass unsere Zeit im Vergleich zur Vergangenheit dauernd zum Schlechteren abgeglitten sei. Sie benehmen sich so, als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt, die eine Lehrmeisterin des Lebens ist, und als sei in den Zeiten der früheren Konzilien, was die christliche Lehre, die Sitte und die Freiheit der Kirche betrifft, alles sauber und recht zugegangen. Wir aber sind völlig anderer Meinung als diese Unglückspropheten, die überall das Unheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergang stünde.“
Es wird berichtet, dass viele Konzilsväter bei diesen Worten unwillkürlich in die Richtung von Kardinal Ottaviani und seiner Gesinnungsgenossen schauten.

Diese Episode stellt exemplarisch das Ringen und Kämpfen von unterschiedlichen Auffassungen um den zukünftigen Kurs der Kirche dar. Immer wieder die Frage: Was muss bleiben? - Und: Was soll, muss sich verändern, wenn wir unserem Auftrag treu bleiben wollen?

Wenn ich auf Jesus und seine Geschichten, die er erzählt hat, schaue, ist mir klar: Jesus würde sich klar auf die Seite derer schlagen, die überzeugt sind: Wenn sich Gesellschaft ändert, neue Fragen entstehen, neue Probleme bewältigt werden müssen, dann müssen sich auch die kirchlichen Formen und Mittel ändern, damit seine Ideen und Worte bei den heutigen Menschen ankommen.
Wenn ich auf die Geschichte vom Richter und der Witwe schaue, dann meine ich sogar herauszuhören, dass Jesus geradezu die einfachen Leute dazu auffordert, wenn sie einen wunden Punkt entdecken, sollen sie ihre Obrigkeit mit Hartnäckigkeit, mit Forderungen und einer gewissen Schärfe konfrontieren. Reformen kommen in seiner Geschichte von unten, nicht von oben her. Welch ein kühner Gedanke!

Liebe Leser,
ein alter Grundsatz der katholischen Dogmatik heißt: Ecclesia semper reformanda - d.h. die Kirche muss sich immer wieder reformieren, immer wieder erneuern, wenn sie lebendig bleiben und überleben will. Reform ist für die Kirche keine Bedrohung, sondern eine Notwendigkeit, wenn sie ihrem Auftrag treu bleiben will.

Wir haben die Wahl zwischen diesen zwei Wegen:
semper idem - immer das gleiche oder ecclesia semper reformanda - die Kirche muss sich ständig erneuern und reformieren.
Ich bin zutiefst überzeugt: Wenn Kirche unter den kommenden Generationen noch eine Bedeutung haben soll und sinnstiftend für das Leben der Menschen sein will, dann darf dieser alte große katholische Grundsatz nicht nur auf dem Papier stehen, sondern da muss Fleisch ran: ecclesia semper reformanda.

Fürbitten

Herr, unser Gott, als Kirche haben wir die Aufgabe, nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie wir die Botschaft Jesu glaubwürdig und ansprechend von Generation zu Generation weitergeben können. Wir bitten dich:

Lasst uns beten für alle, die das Evangelium zu verkünden haben in einer ansprechenden Sprache und Gedanken, die den Nerv der Zeit und den Puls des Lebens treffen

Lasst uns beten für die Träger der kirchlichen Autorität: für den Papst in Rom. für den Weltrat der Kirchen, für alle Bischöfe und Kirchenvorstände, für Priester und Pastoren. Um die Gabe eines hörenden Herzens auf die Stimme des Evangeliums und die Stimme unserer Zeit

Lasst uns beten für die rivalisierenden Gruppen in unserer Kirche und die Vertreter unterschiedlichster Strömungen: Um die Bereitschaft, den anderen verstehen zu wollen und um Respekt vor der anderen Meinung

Lasst uns beten für alle, die sich in unseren Pfarrgemeinden abmühen, dass sie ihre Kreativität und ihr Charisma einsetzen und nicht frustriert werden, wenn vieles nicht so geht, wie sie es sich wünschen

Lasst uns beten für unsere Toten, die uns im Glauben vorangegangen sind. In diesem Gottesdienst denken wir an ...

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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