Predigt zum unterfränkischen Volksmusikfest in Oberschwarzach

Kennen Sie dieses alte Volkslied?

(Die Frankobarden singen:)
Hab oft im Kreise der Lieben im duftigen Grase geruht,
und mir ein Liedchen gesungen, und alles war hübsch und gut.


Dieses alte Volkslied, das auf ein Gedicht von Adalbert von Camisso zurückgeht, erzählt vom Geschenk der Musik, vom Geschenk, singen zu können. In wieviel schönen und glücklichen Stunden, wenn einem das Herz übergeht oder es etwas zu feiern gibt, kann ich dankbaren Herzens durch ein Lied ausdrücken: „und alles ist hübsch und gut.“
Es waren für mich Sternstunden in der Kindheit, als wir ein Auto bekamen und als Familie, im Kreise der Lieben, manchmal sonntags durch die fränkischen Lande fuhren – und mein Vater und meine Mutter mit ihren schönen Stimmen die alten Volkslieder zweistimmig sangen. Und was wäre ein Gottesdienst ohne Gesang? Was wäre ein Fest ohne Musik? Was wäre eine Weltmeisterschaft ohne das Singen der Nationalhymne

Für Martin Luther ist die Musik die „schönste Gabe Gottes“. Aber er empfiehlt auch die Musik als eine Therapie gegen die Depression. Was von Konrad Adenauer erzählt wird, das beeindruckt mich immer wieder. Ein Mann kam zu ihm und erzählte, dass er über den Tod seiner Frau nicht hinwegkommen kann und bat ihn um einen Rat. Und Konrad Adenauer soll zu ihm gesagt haben: „Geh zu den Mönchen nach Maria Laach und lerne dort wieder das Singen!“
Und wer hat es nicht schon einmal als trauernder Angehöriger in einem Requiem erfahren, wie gut es tut, wenn man selbst nicht mehr singen kann, vom Gesang der Dorfgemeinschaft mitgetragen zu werden.
Unser Volkslied will dazu ermutigen, auch in Traurigkeit zu singen, und glaubt daran, dass ein trauriges Herz durch Singen wieder aufgefrischt wird:

(Die Frankobarden singen:)
Hab einsam auch mich gehärmet in langem düsteren Mut
und habe wieder gesungen, und alles war wieder gut.


Und gegen einen „sauren Geist“ empfiehlt Martin Luther, der studierte Magister der Künste, als Therapie - ebenso wie das Volkslied - Musik und Gesang:
„Und manches, was ich erfahren, verkocht ich in stiller Wut,
und kam ich wieder zu singen, war alles auch wieder gut.“
Wie oft geschieht es auch heute, dass Jugendliche, auch wenn sie meistens nicht mehr singen, wenn sie übel gelaunt nach Hause kommen oder innerlich kochen, in ihr Zimmer rennen, den CD Player laut aufdrehen und laute Musik hören, bis sie sich ein Stück beruhigen.

(Die Frankobarden singen:)
Und manches, was ich erfahren, verkocht ich in stiller Wut,
und kam ich wieder zu singen, war alles auch wieder gut.


Und in der letzten Strophe höre ich fast den Ratschlag unseres alten Kirchenliedes heraus, das meint, die Sorgen helfen dir nicht und schon gar nicht das Jammern über dein Weh und Ach und rät deshalb lieber zu singen:
„Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach? Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach. Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.
Sing, bet´ und geh auf Gottes Wegen, verricht´ das deine nur getreu und trau des Himmels reichen Segen, so wird er bei dir werden neu. denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.“
Unser Volkslied kleidet diese Überzeugung in die Worte:

(Die Frankobarden singen:)
Sollst uns nicht alles klagen, was alles dir wehe tut.
Nur frisch, nur frisch gesungen und alles wird wieder gut.


Liebe Leser, wenn es nur so einfach wäre, ein Liedlein singen und dadurch Dankbarkeit zeigen und ausdrücken: Alles ist gut.
Wenn es nur so einfach wäre wie im Lied, wird sich so mancher denken, wenn ich gehärmt bin, wenn ich vor stiller Wut verkoche, wenn mir etwas weh tut, ein Liedlein zu singen, - und alles ist wieder gut.
Aber gilt nicht auch vom Singen, was auch sonst vom Leben gilt: Nur, was ich selbst lange übe, nur, was ich selbst praktiziere, wird mir auch in glücklichen Stunden zum Ausdruck von Freude und zur Therapie in schweren Stunden?
Ob darüber überhaupt nachgedacht wird, was es bedeutet und welche Auswirkungen es hat, wenn in den Grundschulen - im Vergleich zu meiner Volksschulzeit - der Gesang von jungen unverbrauchten Kinderstimmen immer seltener und leiser zu hören ist?
Ob eine Pfarrgemeinde überhaupt einmal nachdenkt, was es bedeutet, wenn in unserem Gottesdienstgesang die jungen, hohen Stimmen immer mehr fehlen und kaum ein Pubertierender im Stimmbruch mehr mitbrummt und auch sonst immer mehr ihren Mund zum Singen nicht mehr aufbringen und den Gottesdienst aktiv durch Singen bereichern?
Ob darüber einmal nachgedacht wird, was uns verloren geht, dass sich immer weniger Menschen im Lauf eines Lebens sich einen Liedschatz von Kirchen- oder Volksliedern aneignen, die im Unterbewusstsein tief gespeichert sind und auch einmal in der Demenz oder im Sterben abgerufen werden können und letzter Ausdruck für das werden, was mir im Leben Halt gab?

Möge uns das heutige unterfränkische Volksmusikfest diese Fragen wieder einmal durch den Kopf gehen lassen, mögen wir den Segen von Musik und Gesang wieder einmal ganz tief spüren. Und mögen die Volksmusikanten und Volkssänger sich gegenseitig darin bestärken: Auch wenn unsere Art zu musizieren für viele überholt ist: Singen, Musik ist ein Segen. Singen, Musik ist Therapie!

- Orgel spielt die Melodie „Hab oft im Kreise der Lieben“... in freudiger Art - improvisiert dann das Volkslied in dunklen Klängen, die sich wieder auflösen, sowie in aggressiver Weise, die sich wieder beruhigt -


Pfarrer Stefan Mai

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