Schon fertig bevor angefangen

Predigt zum 11. Sonntag im Jahreskreis (Lk 7,36-8,3)

Einleitung

Eine chinesische Geschichte erzählt:
Ein Mann hatte seine Axt verloren und vermutete, der Sohn seines Nachbarn habe sie ihm gestohlen. Er beobachtete daher seinen Gang. Seine Schritte schienen ihm ganz die eines Diebes zu sein. Sein Gesicht war das eines Diebes. Seine Art, zu sprechen, war die eines Axtdiebes. Nichts, aber nichts, was er tat, sah nicht nach einem Axtdieb aus.
Als der Mann ein paar Tage später in die Scheune ging, sah er seine Axt dort liegen. Am nächsten Tag sah er wieder den Sohn des Nachbarns. Seine Bewegungen waren nicht die eines Axtdiebes und auch sein Aussehen waren nicht das eines Axtdiebes.
Die Moral aus der Geschicht: Was Vorurteile doch alles anstellen können.

Predigt

Die ganze Fussballnation hat lachen oder zumindest schmunzeln müssen, als Giovanni Trapattoni in einer legendären Pressekonfrenz am 10.März 1998 nach einer Niederlage gegen Schalke seiner Wut über die Bayern-Spieler Thomas Strunz, Mario Basler und Mehmet Scholl freien Lauf gelassen hat. Diese hatten ihn wegen seiner Mannschaftsaufstellung kritisiert. Vielleicht haben Sie die Worte noch im Ohr:
... „Ich habe auch andere Mannschaften gesehen in Europa nach diese Mittwoch. Ich habe gesehen auch zwei Tage die Training. Ein Trainer ist nicht ein Idiot! Ein Trainer sehen was passieren in Platz. In diese Spiel es waren zwei, drei oder vier Spieler, die waren schwach wie eine Flasche leer!...
Ich bin müde jetzt Vater diese Spieler, eh..., verteidige immer diese Spieler. Ich habe immer die Schulde... über diese Spieler. Einer ist Mario, einer, ein anderer ist Mehmet. Strunz dagegen, egal, hat nur gespielt 25 Prozent diese Spiel! Ich habe fertig!"


„Ich habe fertig“, diese Formulierung ist zu einem geflügelten Wort geworden, mit dem sogar ein wenig später die SPD die Abwahl Kohls auf Plakaten kommentierte.
„Mit dir bin ich fertig!“ wenn einer diese Worte gebraucht, dann heißt das: Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben. Mein Kapitel mit dir ist abgeschlossen. Ich will von dir nichts mehr hören und sehen.
Im heutigen Evangelium begegnet uns ein Mann, der will nichts mit einer Frau zu tun haben. Dieser Simon ist schon fertig mit der Frau, die sein Haus betritt, bevor er ihr auch nur ein einziges Mal in die Augen geschaut hat. Sein Urteil steht schon fest, bevor er ein einziges Wort mit ihr gesprochen hat. Und auch mit Jesus hat er bereits abgeschlossen, bevor das Gespräch mit ihm überhaupt beginnt. Sein Urteil über ihn steht schon fest: „Wenn er wirklich ein Profet wäre, müsste er doch wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist.“
Was ist der Grund seines Verhaltens? Der gesetzestreue Simon ist ein Mann voller Vorurteile. Vor lauter Konzentration auf Rechtgläubigkeit, Ordnung und Sitte versteht er nicht, was in seinem Hause abgeht. Er, der sich im Leben nichts zu Schulden hat kommen lassen, fühlt sich zu seinen kalten Vorurteilen und herzlosen Beurteilung von Menschen berechtigt und wird dadurch blind gegenüber der Frau und Jesus. Er merkt nichts von der Suche der Frau, nichts davon, dass es hier um eine lebensentscheidende Begegnung zwischen Menschen geht. Simon, ein Paradebeispiel eines frommen Menschen, dem seine Frömmigkeit zum Gefängnis und Verhängnis wird.
Liebe Leser, Jesus war kein besonderer Freund der Frommen. Was mich aber an ihm fasziniert ist, dass er nicht in das Schema der Vorurteile verfällt, sondern auch Simon aus dem Gefängnis seiner Frömmigkeit herausholen will. Keine Spur davon, dass er ihn als Scheinheiligen beschimpft. Er verurteilt ihn nicht, greift ihn nicht an, droht nicht, sein Haus zu verlassen. Er beginnt auch keinen theologischen Diskurs. Er möchte dem Simon wie der Frau einen Neuanfang ermöglichen. Er möchte, dass die Vergangenheit nicht die Zukunft verstellt. Er erzählt ihm das Gleichnis vom Schuldner und möchte für seinen Umgangstil mit der Sünderin werben. Er will ihm dadurch verständlich machen: Darauf kommt es an, dass Menschen zu neuen Lebensperspektiven kommen jenseits einer ordnungsgemäßen Aufteilung in Sünder und Fromme.
Der Evangelist Lukas erzählt nicht, wie die Geschichte weitergegangen oder ausgegangen ist. Ich meine: ganz bewusst nicht, weil er mit dem offenen Ausgang uns dazu anregen will, unsere eigenen Vorurteile zu überprüfen.

Fürbitten

Herr Jesus Christus, du verhältst dich so anders als es viel Fromme erwarten. Wir bitten dich:

Du lässt dich auf Menschen ein, denen andere aus dem Weg gegangen sind.
Lass dein Verhalten auf uns abfärben

Du rennst nicht der Meinung nach, die Menschen über andere gefasst haben, sondern machst deine eigenen Erfahrungen mit ihnen.
Lass dein Verhalten auf uns abfärben

Du hast offene Augen für suchende Menschen und baust ihnen Brücken.
Lass dein Verhalten auf uns abfärben

Du stellst Menschen in Frage, die meinen, sie würden dich kennen und genau wissen, was du von anderen erwartest.
Lass dein Verhalten auf uns abfärben

Du brichst Vorurteile auf und eröffnest neue Zukunftschancen.
Lass dein Verhalten auf uns abfärben

Darum bitten wir dich, Christus, unsern Herrn. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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