Andacht an der Gertraudiskapelle

Andacht der Jagdgenossenschaft am 6. Juni 2010

Lied: GL 808/1+2

Herzlich willkommen an diesem schönen Sommerabend an diesem schönen Fleckchen Erde in der Gerolzhöfer Gemarkung. Kapellen wurden oft als Stiftung gebaut mit einem bestimmten Zweck, sie wurden oft errichtet im Gedenken an ein bestimmtes Ereignis oder als Gelübde für die Errettung aus einer Not. Sie wurden mitten in schönen Landschaften oder an markanten Punkten gebaut, um Menschen zur Rast und zur Besinnung einzuladen. Für so manchen sind Kapellen zu liebgewordenen Orten geworden, oft auch für Menschen, die keinen großen Bezug zur Kirche haben, so wie z. B. für den romantischen Dichter Gebhardts, der ein Loblied auf ein solche Kapelle singt:

Ich weiß eine liebe Kapelle, da weilet mein Herze so gern;
da sing ich mit meinen Geschwistern Loblieder zum Preise des Herrn.
Pilger, komm, komm, komm zur Kapelle, bald weilst du gewiss hier auch gern!
Da findest du liebe Geschwister; komm, singe zum Preise des Herrn!

Wer kennt diese liebe Kapelle, zu der mein Verlangen stets geht?
Da glühen in Andacht die Herzen in brünstigem heißen Gebet.

O Pilger, du kennst die Kapelle. Sie stehet am friedlichen Ort.
Da höret man heilige Zeugen verkünden das lautere Wort.

Kapelle, du Vorhof des Himmels, in dir fand mein Herz Gottes Haus,
an meines Immanuels Herzen ruh`ewig im Frieden ich aus!


Und wer hätte von Elvis Presley gedacht, dass auch er in einem Lied eine kleine Kapelle verewigt hat. In diesem Lied You saw me crying in the chapel „Du sahst mich in der Kapelle weinen“ heißt es in der letzten Strophe:

Take your troubles to the chapel
Get down on your knees and pray
Your burdens will be lighter
And you'll surely find the way.

Nimm deine Sorgen mit zur Kapelle
Geh nieder auf die Knie und bete
Deine Lasten werden leichter
Und du wirst sicherlich den (richtigen) Weg finden.


Die Gertraudiskapelle ist eine solch einfache und schlichte Kapelle auf einer kleinen Anhöhe vor der Haustür Gerolzhofens. Mit Ihnen möchte ich heute Abend einmal darüber nachdenken, was sie für Menschen bedeuten kann.

Lied: GL 808/3

Zu Beginn und zur Einstimmung dieser Andacht möchte ich Sie einladen, sich ein Herz zu nehmen und einfach mitzuteilen, warum Sie gerne zur Gertraudiskapelle hochkommen, was sie Ihnen sagt und Ihnen persönlich bedeutet. Es wäre schön, wenn wir ein paar Stimmen hören würden.

- Einzelne Personen erzählen von ihrem Bezug zur Gertraudiskapelle -

Lied: 885/1+3

„Hier ist es schön, hier lasst uns bleiben!“ sagen manchmal Menschen. Und der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe schreibt im Lied des Türmers die Verse „zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt“.
Richtig Schauenkönnen ist eine große Gabe und ein großes Glück. Denn da eröffnet sich der Segen des Staunens. Und ohne Staunen wird unsere Welt so arm und so versachlicht. Und der Verlust der des Schauens ist Verarmung und Unglück. Friedrich Nietzsche hat einmal gemeint: „Die letzten Menschen werden einmal nur noch ‚blinzeln’“.
Manchmal denk ich, der Herrgott hat uns in unserer kleingliedrigen fränkischen Landschaft schon ein schönes Fleckchen Erde als Heimat geschenkt. Das wird einem an einem Ort wie an der Gertraudiskapelle ganz bewusst. Da sieht unser Auge den Steigerwald mit seinen Waldhängen, Weinbergen, Weizen-, Gerste , Rüben-, Mais- und Rapsfelder. Die Natur zeigt sich in den verschiedenen Jahreszeiten in immer neuen Farbnuancen. Wir empfinden dies als selbstverständlich, obwohl es alles andere als selbstverständlich ist. So wollen wir hier an diesem schönen Ort um offene Augen für die Schönheiten der Welt und des Lebens bitten:

V/A: Öffne meine Augen, Herr

- für die Wunder deiner Schöpfung
- für die Schönheit der Natur
- für den Gruß jeder blühenden Blume
- für die Vielfalt der Tiere auf dem Feld
- für die Tiere im Wald
- für die Majestät der Bäume
- für den Schatz des Regens
- für die Vielfalt der Landschaften
- für das Wechselspiel von Schatten und Licht
- für die Vielfalt der Farben
- für das gleißende Licht der Sonne
- für den sanften Schimmer der Sterne und des Mondes
- für das Spiel und die Formationen der Wolken am Himmel
- für den wunderbaren Wechsel von Tag und Nacht
- für die Schönheit der Menschen
- für das Gute, was in dieser Welt geschieht
- für das Schöne, was uns auf dieser Erde begegnet

Ewiger Gott, alles, was du geschaffen hast, trägt deine Handschrift. Es verkündet deine vielfältige, erstaunliche und wunderbare Größe. Lass uns im Einklang mit deiner Schöpfung leben und sie als großen Schatz für kommende Generationen bewahren. Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.

Lied: GL 885/4

Der Platz für die Gertraudiskapelle wurde sicherlich ganz bewusst ausgesucht. Er liegt nämlich auf einer kleinen Anhöhe mit einer guten Aussicht nach allen Seiten. Von hier aus hat man einen Blick in alle Himmelsrichtungen. Von hier aus geht der Blick ins Weite. Und Weite tut uns Menschen gut. Oft ist unser Blickfeld so eingeschränkt. Von hier oben aus kann man hinüberschauen auf den Ort , wo wir wohnen und arbeiten, uns mühen und sorgen. Für eine Zeitlang auf Distanz gehen, was uns momentan so beschäftigt. Aus dem Abstand heraus werden vielleicht auch manches Problem, mancher Ärger kleiner, manche Sorge geringer. Denn hier oben kann man den Blick weiten, man hat einen Rundblick und man sieht überall Horizonte. Man kann zurückblicken und zugleich von Zukunft träumen. Und vielleicht sieht man manches dann wieder mit einem anderen Auge oder unter einem anderen Blickwinkel. Deshalb möchte ich hier an dieser Stelle beten:

V/A Weite meinen Blick

- in meinen oft so engen Grenzen
- in meinem verengten Blick
- in meiner verengten und einseitigen Wahrnehmung
- in meiner Fixierung auf die Fehler anderer
- in meinem Unvermögen und Versagen
- in Ohnmacht und Schwäche
- in Verzagtheit und Ungeduld
- in Schwierigkeiten und Bedrängnis
- in Situationen, wo ich nicht weiter weiß
- in meiner schwankenden Zuversicht
- in meinem wankelmütigen Vertrauen
- in Momenten, wo ich alles schwarz sehe
- in Stunden, in denen es zum Davonlaufen ist

Lied: Gl 997 Meine engen Grenzen - vorsingen

Die Gertraudiskapelle ist auch ein Ort der Ruhe. Schon von weitem lädt im Sommer der alte Lindenbaum ein, sich in seinen Schatten zu setzen. Und die Bänke laden ein: Komm, ruh dich ein wenig aus! Und auch die Gertraudiskapelle lädt ein zum Hineingehen und flüstert einem die alte Volksweisheit zu: „Wu gebatt werd, werd ausgeruht!“
Wir wissen, unsere Welt wird immer schneller und hektischer. Auch die Traktoren der Bauern werden immer schneller. In immer kürzeren Zeiten müssen immer größere Flachen bewirtschaftet werden. Und in keinem Stand wie im Bauernstand ist der Sinn für den Tag der Ruhe und der seelischen Erhebung, wie das Grundgesetz den Sonntag nennt, so stark verloren gegangen wie im Bauernstand. Deshalb tun Orte wie dieser und Stunden wie heute unserer Seele gut. Und so wollen wir um dieses hohe Gut der Ruhe beten:

V/A Schenke uns Ruhe

- im stillen Dasitzen auf einer Bank
- in Momenten der inneren Einkehr
- im Umherblicken in der Natur
- auf Spazierwegen
- im Hinhören auf die Stimmen der Vögel
- beim Singen von Liedern
- im Erleben von Stille
- im Hineinhorchen auf die innere Stimme
- im Hören auf die Sprache des Herzens
- im Klang des Regens
- in den Melodien des Windes
- im Lesen eines schönen Textes
- im Sitzen in einer Kirche oder Kapelle
- in einem geregelten Arbeitsrhythmus
- im stillen Gebet
- im Hören einer schönen Melodie
- in der Feier des Gottesdienstes

Gott, du bist die Geduld, du die Ruhe und Kraft. Schenke uns ein Stück davon. Darum bitte wir dich durch Christus unsern Herrn.

Lied: GL 807/1

So ein Fleckchen Erde wie hier oben, Orte wie die Gertraudiskapelle sind für Menschen auch echte Zufluchtsorte. Orte, wo sie Vertauen und Geborgenheit spüren. Sie können zu Rückzugsecken werden, wenn alles zum Davonlaufen ist. Und auch zu einem Zufluchtsort in der Not des Lebens.
Wie meinte Elvis Presley?

Nimm deine Sorgen mit zur Kapelle
Geh auf die Knie und bete
Deine Lasten werden leichter
Und du wirst sicherlich einen Weg finden.


Und von Barbara Stanwyk stammt der Satz:

„Ein Zuhause ist, wohin man geht, wenn einem die Orte ausgegangen sind.“

Von einem Krebskranken, den ich dieses Jahr in Gerolzhofen beerdigt habe, weiß ich, dass er in seiner Krankheit hier in dieser Kapelle einen letzten Zufluchtsort sah, wo er in aller Stille sein Herz ausschütten konnte und um Kraft in der schweren Krankheit betete. Und nicht umsonst wählen Gerolzhöfer als Bild für die Sterbezettel ihrer Toten so manches Mal das Bild der Gertraudiskapelle. Und so beten wir hier an diesem Ort:

V/A Schenke uns deine Kraft

- in Trübsal und Ängsten
- in Bangen und Hoffen
- in Zweifeln und Sorgen
- in Bedrängnis und Nöten
- in Enttäuschung und Scheitern
- in Verzweiflung und Trauer
- in Angst und Verzweiflung
- in den Schatten des Todes
- in der Nacht des Glaubens
- in meiner Stunde des Sterbens

Lied: GL 807/2

Am Schluss dieser Andacht beten wir hier an der Gertraudiskapelle, die von Feldern und Weinbergen umgeben ist, um das Gedeihen der Feldfrüchte
Vater unser
Gegrüßet.....dass du die Früchte der Erde segnen/geben/und erhalten wollest

Lateinischer Wettersegen GL 865

GL 897/1+6+7


Pfarrer Stefan Mai

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