Was die Seele braucht

Predigt zum Fronleichnamstag

Einleitung

Manchmal sagen kleine Kinder, wenn sie mit ihrer Mutter zur Kommunion nach vorne gehen und dann anstatt der Kommunion ein Kreuzzeichen auf die Stirn gemalt bekommen: „Mama, ich will aber auch so eine Tablette!“
Im ersten Moment schmunzeln wir über eine solch kindliche Antwort. Beim tieferen Nachdenken aber frage ich mich. Liegt das Kind mit seiner Vorstellung nicht auf der richtigen Spur, was der Empfang des kleinen Scheibchen Brotes bedeutet. Heute am Fronleichnamsfest steht dieses weiße Scheibchen Brot im Mittelpunkt. Vielleicht eine Gelegenheit, wieder einmal darüber nachzudenken, was mir der Empfang dieses Brotes bedeutet.

Predigt

Im letzten Jahr wurde neben der Pinakothek der Moderne in München das Museum Brandhorst eröffnet. Es beherbergt modernste Kunstwerke von großen Malern wie Cy Twombly, Andy Warhol oder Damien Hirst.
Im Untergeschoss steht man vor einem riesengroßen Pillenregal des britischen Künstlers Damien Hirst, ca 10 m breit und 2 m hoch. 27.683 bunte Tabletten aus Gips, Kunstharz und Bronze sind in dieser verspiegelten Vitrine fein säuberlich in Fächern angeordnet. Man steht vor einer überwältigend großen Spiegelfläche, schaut auf das Arsenal der Pharmaindustrie, mit der wir unser Leben zu verlängern versuchen und sieht sich selbst im Spiegel vor diesem klinisch reinen Glasschrank. Und dann lese ich den Titel rechts daneben: „In diesem schrecklichen Moment sind wir Opfer, die sich hilflos an eine Umgebung krallen, die sich weigert, die Seele anzuerkennen.“
Das sitzt. Damien Hirst kritisiert mit seinem riesigen Pillenschrank eine Kultur, die den Menschen als Maschine und Krankheit als Defekt einstuft und Krankheiten mit Tabletten heilen will, aber nicht danach fragt, wonach die Seele hungert, wonach sie dürstet, was sie heilt. Damien Hirst stellt die Frage nach dem Sinn einer dauernden Lebensverlängerung, wenn im Leben immer mehr verloren geht, was die Seele eigentlich braucht: Menschliche Zuwendung, Wärme und Gespräch.
Auf der gegenüberliegenden Wand sieht man auf einer riesigen Fläche einen Christuskopf von Andy Warhol, 112 Mal in Serie nebeneinander gestellt. Er stammt aus einer Abendmahlsszene „Ich bin das Brot, ich bin der Wein“. Und dieser Christuskopf spiegelt sich im Pillenregal.

Ich war sprachlos, als ich diese Museumsinstallation sah. Ein profanes modernes Museum mit extravaganten Künstlern bringt mit dieser Installation vielleicht unbewusst in Verbindung, was wir am Fronleichnamsfest feiern und wofür auch uns vielleicht schon der Sinn verlorengegangen ist.

Wir tragen am Fronleichnamstag eine goldene Vitrine durch die Straßen mit einem runden Scheibchen Brot in der Form der Tablette. Die Alten nannten dieses Stückchen Brot „remedium“ - Heilmittel, Arznei. In unseren Sakramentsliedern besingen wir dieses Brot als „wunderbare Speise auf dieser Pilgerreise“. Wir singen: „Das Lebensbrot stillt Hungersnot, heilt meiner Seele Schaden“. Wir schmettern im Lied „Dieses Brot sollst du erheben, welches lebt und gibt das Leben“. Aber spüren wir noch was damit gemeint ist? Ich bin, was die Seele heilt und tröstet.

Weißt du noch, was deine Seele braucht, diese Frage stellt das Pillenregal von Damien Hirst und die Museumsleitung lässt in diesem Regal die Christus-Darstellung von Andy Warhol „Ich bin das Brot, ich bin der Wein“ spiegeln. Will sie durch diesen genialen Einfall die Spur einer Antwort legen?

Weißt du noch, was deine Seele braucht?, fragt unsere Monstranz mit dem kleinen Stückchen Brot und verweist auf einen Jesus, der menschliche Zuneigung, Wärme, Kommunikation in seiner Person verkörperte. Wir werden die Kraft dieser Speise nur spüren, wenn wir auch den Menschen Jesus mit seiner Lebensart hinter der Brottablette als Lebensarznei empfinden. Menschen hungern auch heute noch danach, was dieser Jesus mit seinem Lebenstil ausgestrahlt hat:

Er geht auf Menschen zu.
Er spricht Menschen an.
Er sagt: Ich brauche dich, du bist der richtige Mann!
Er hat Zeit, bleibt stehn und sieht das Leid.
Er holt Gehandicapte in die Mitte
Er lädt Außenseiter ein und isst mit ihnen
Er hört zu und interessiert sich.
Er stellt sich vor Menschen.


Wir alle wissen, wie heilsam das ist, wenn er spürt: Ich werde gebraucht
Wer von uns hat nicht schon zu seiner Hochform aufgelaufen, wenn er gespürt hat: Hier werde ich anerkannt; hier wird das, was ich bin und kann, geschätzt.
Wer von uns freut sich nicht, wenn er spürt, Da darf ich sein, wie ich bin, da muss ich mich nicht verstellen.
Lassen wir es uns am Fronleichnamstag mit Blick auf die Monstranz wieder einmal sagen: Das sind eigentlich heilenden Pillen, die Arzneimittel, die die menschliche Seele braucht!


Pfarrer Stefan Mai

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