Die Schleifung des babylonischen Turms

Predigt zum Pfingstmontag 2010 (Gen 11,1-9)

Eine uralte Geschichte der Menschheit, die Erzählung vom Turmbau in Babylon. Eine Geschichte, die nicht nur weitererzählt wurde, sondern auch täglich gelebt wird. Wer will nicht nach oben kommen, groß herauskommen, immer höher hinaus. Wer möchte nicht auf der VIP-Lounge sitzen, zur „High socyity“ gehören? Eine gehobene Stellung, davon träumen viele. Dieser Traum vom „nach oben kommen“ geht einher mit der Angst, im Leben zu kurz zu kommen, schließlich zu den Loosern gehören. Ja, diese uralte Geschichte vom Turmbau in Babel hat nach wie vor ungeheuere Aktualität.

Doch hin und da treten Figuren in der Weltgeschichte auf, die wirbeln dieses Turmbaudenken „immer höher hinaus“ gewaltig durcheinander. Zu ihnen zählt Jesus von Nazareth. Kein Wort von ihm wird im NT so häufig in verschiedenen Varianten überliefert wie das Wort: „Wer der Größte unter euch sein will, sei der Diener aller!“ Jesus hat glasklar erkannt: Wer immer höher hinaus will, oben auf sein möchte, der sieht im anderen den Konkurrenten, der wird automatisch in die Spirale von Neid, Geiz und Hass hineingezogen. Er hat klar erkannt: Menschlichkeit, Gemeinschaft, Solidarität und Vertrauen können nur wachsen, wenn Menschen auf dem Boden bleiben und mit ihren Mitmenschen auf Augenhöhe.

Mit dieser Idee war Jesus so überzeugend, dass Menschen Feuer gefangen haben und auch für seine Botschaft durchs Feuer gingen. Diese lockten Leute vom Turmbaudenken weg und kümmerten sich um die, die auf dem Weg nach oben auf der Strecke geblieben waren. Sie begannen Brücken statt Türme zu bauen. Und das faszinierte die Menschen vor 2000 Jahren in der Aufsteigergesellschaft des Römischen Reiches. Viele waren von diesen Menschen, die Christen genannt wurden, begeistert und schlossen sich ihnen an. Es entstand eine richtige Anti-Turm-Bewegung. Das hat beeindruckt und überzeugt. Das hat das junge Christentum groß gemacht.

Manchmal frage ich mich, was dieser Jesus heute dazu sagen würde, dass ausgerechnet seine Kirche in der Liturgie die vornehmen Gewänder der römischen Aufsteigergesellschaft anzieht, dass seine Kirche wie die römische Gesellschaft streng hierarchisch geordnet ist, dass es in seiner Kirche die Versuchung gibt, in den kirchlichen Aufzug in Richtung „gehobene Ämter“ hinein zu kommen, dass seine Kirche ebenfalls den Lieblingssport betreibt, Titel und Namen zu verleihen und damit meint, Menschen einen Gefallen zu tun, obwohl er die klaren Worte fand: „Ihr aber sollt euch nicht Meister nennen lassen, denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Ihr sollt niemand auf Erden euren Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen, denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. Der größte von euch soll euer Diener sein!“ (Mt 23,8-10)
Ich frage mich: Würde Jesus darüber lachen über so leicht verführbare Menschlein oder seinen heiligen Zorn bekommen? Ich glaube, eines würde er sicher tun: Er würde mit Geduld und Hartnäckigkeit seine Worte wiederholen, die schon damals zu seinem Markenzeichen gehörten: „Wer unter euch groß sein will, der soll der Diener aller sein.“


Pfarrer Stefan Mai

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